6.1 Beschäftigen wir uns also zuerst einmal mit den frühen - rein cosmospoeietischen - Gedanken der narratio36 , die in aller gebotenen Kürze - "nur das erlaubt das kleine Kompendium hier" - die ersten Kapitel der Genesis zusammenfassen. Diese sind nämlich die Quelle (fons) und das Fundament (fundamentum) der gesamten Philosophie, erst recht also der Kosmographie.
     
    Gemäß menschlicher Überlegung sei zuerst festgestellt, daß Gott im Anfang (in principio) - d.h. bevor überhaupt etwas außer ihm existierte - sich einen Punkt inmitten des gesamten Nichts vorgab - d.h. in dem gesamten Raum, der heutzutage vom Weltall eingenommen wird - , vorgab als Zentrum oder Punkt, dem er die Natur verlieh, Sitz oder Ruhepunkt der gesamten Schwere zu sein. Um diesen Punkt gestaltete Gott am ersten Tage das Chaos, d.i. eine völlig ungeformte schwere und unbewegliche Masse, gewissermaßen die Pflanzschule alles dessen, was noch zu schaffen sein würde. 

    Und da alles seiner Natur und seinem Vermögen nach zum Sitz der Schwere hinstrebte, nahm das Geschaffene die Gestalt eines sphärischen Körpers, d.i. einer Kugel ( = Sphäre) an. (Die Erklärungen zur Sphäre sind dabei den Argumenten des Johannes Sacrobosco entnommen; wobei vor allem wesentlich ist, daß stets nach den Wirkungen und ihren ersten - nicht aber nach ihren nachgeordneten - Ursachen gefragt wird: "... sed nos effectrices & priores, non posteriores causas quaerimus".)

    Aus diesem Chaos bewirkte Gott am zweiten Tage den Geist oder den Hauch, der all die schwere Masse aufrührte und in Bewegung setzte. Als feurigen Hauch führte Gott den Äther aus der aufgwühlten Masse hervor. Diesen Gluthauch nannten die Hebräer 'chamai^n' - was nach der Schrift  als 'feurige Wasser' bezeichnet wird. Mit dem so aus dem Chaos Herausgezogenen begann dann die Unterscheidung von Tag und Nacht: Wie die Schrift sagt, schied Gotte das Licht von der Finsternis und nannte das Licht 'Tag', die Finsternis aber 'Nacht'. 
    Die Bewegung des Äthers, die Gott damit in Gang setzte, wird von den Mathematikern als die des 'ersten Umschwungs' bezeichnet: "hic motus ille est, quem mathematici primi mobilis appellant". Von diesem Umschwung werden alle unteren Sphären (orbes) mitgerissen. Den Kugelkreis - die 'wohlgerundete' Sphäre - des Lichtes, das sich in dieser höchst feinen Materie versammelt hat, nennen die Theologen den 'coelum empyreum', den Sitz der Seligen. (1573 wird Gerhard Mercator ihn als den "Ort der wahren Glückseligkeit" - 'vera beatitudo' - bezeichnen.) Unter dem 'coelum empyreum' befindet sich das, was Moses als 'Firmament' bezeichnet, gewissermaßen die 'Mauer', die alles, was über dem Himmel ist, von dem trennt, was unter dem Himmel ist. Darauf folgen die acht Sphären oder der Sternenhimmel, den die Mathematiker - anders als Moses - als 'Firmament' bezeichnen. Dieser wird von ihnen auch als 'coelum secundi motus', als 'Himmel des zweiten Umschwungs', angesprochen.
     

      1563 mag er dabei noch den "klassischen" typus des Ficinus vor Augen gehabt haben:
       
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      1573 sieht das schon anders aus.
    Am dritten Tage werden Wasser und Erde als Getrenntes - vollendet - sichtbar. Die Aufruhr des zweiten Tages hat die Berge hergehoben und die Täler erscheinen lassen und dem Wasser seinen Ort gewiesen. Da der Himmel seine Kräfte versammelt hat, hilft er nunmehr dem Hervorsprossen der Pflanzen voran, läßt die Fruchtbäume und überhaupt die Bäume wachsen, - alles je nach seiner Art, in sich seinen Samen tragend:  "in se sementem secundum speciem suam".

    Am vierten Tag sind alle himmlischen Körper vollendet. Alle befinden sich numehr an den ihnen zugewiesenen Orten, ausgestattet mit den ihnen einzeln zugewiesenen Vermögen = Kräften. In diesem Zusammenhange erweist sich dann auch das Gerede der Astrologen als leeres Geschwätz, die den Planeten - zumal den obersten - einen höchst schädlichen Einfluß auf das Irdische, auf die sublunaren Elemente andienen.
    ImGegenteil:
     

      Gott sah, daß alles gut war, "& vidit Deus quod esset bonum".


    Am fünften Tage schuf Gott in höchst wundersamer Ordnung alle belebten Kreaturen.

       
      Hier harrt der Gedanke der weiteren Ausarbeitung bis 1593.
    Danach, also am sechsten Tag seines Schöpfungswerkes schuf er das von allem Geschaffenen höchste und vollkommenste Wesen, den Menschen, der in der Lage ist, das herrliche Werk Gottes, seines Schöpfers, zu erkennen, damit er am Ende schließlich die fortwährende Güte und die immerwährenden Freuden des Himmels genießen werde.
     
      "Haec obiter de mundi creatione quantum opus est ad pleniorem initiorum Astronomiae intellectum ..."
      Dies ist dann auch das Werk, daß förmlich nebenbei den menschlichen Intellekt einen vollständigen Anfang der Astronomie beschert.
Die schulischen Vorträge Gerhard Mercators haben mit dem Ende der narratio den Anfang der kosmographischen Betrachtungen (überhaupt und insgesamt) erreicht, von deren Definition der erste Satz des Breves in Sphaeram spricht:
"Cosmographia est totius vniversi, hoc est, terrestris pariter atque coelestis machinae descriptio: cuius quasi species sunt Astronomia & Gaeographia".
Kosmographie ist die - beschreibende wie erklärende - Darstellung des ganzen  Weltalls, d.i. gleichermaßen der irdischen wie der himmlischen Strukturen. Sie zerfällt gewissermaßen in die beiden Disziplinen Astronomie und Geographie.
Nehmen wir diese Ausführungen der Jahre 1559 bis 1561 ernst, so ist schon hier die Konsequenz zu ziehen:
  • seine "eigentliche" Kosmographie wollte Gerhard Mercator in den geplanten Büchern des Bandes I: I.2 bis I.5 (die ihr Vorbild in der Cosmographia des Peter Apian [Gemma Frisius] haben) und den Büchern des Bandes II: II.1 bis II.4 niederschreiben, wobei das Buch II.3 (Genealogicon) als intergrierender Bestandteil der Geographia nova (II.1) zu verstehen und das Buch II.4 (Chronologie) als "Überschuß" über die Darstellungen des Sebastian Münster in seiner Cosmographia zu werten ist.
In der Konzeption des Buches I.I steht Gerhard Mercator allerdings ganz allein in der Geschichte der Kosmographien des 16.Jahrhunderts: Dieses Buch ist als de mundi genesim ein - gewissermaßen - seltsames mixtum compositum aus 
  1. einer mehr naturphilosophischen Betrachtung des Sechs-Tage-Werk-Bericht des Moses und 
  2. einer christlich-philosophischen Auslegung des theologischen Gehalts des Sechs-Tage-Werk-Berichts.
  • I.I enthält das Vermächtnis37 des Christen Gerhard Mercator, das Buch, von dem Walter Ghim schreibt, "quem etiam durante paralsysi sinistri brachii pro fallendo tempore absolvit, eundemque partum prae ceteris tota vita ipso teste parturivit", daß er es sogar während der Zeit der Lähmung seines linken Armes - ? um die Zeit zu verkürzen - zu Ende brachte, und von dem er selbst sagte, daß er diese Frucht [seines Geistes] Allem, was er in seinem ganzen Leben zuwege gebracht habe, vorgezogen habe.