Bevor ich in die eigentlichen Untersuchungen eintrete, lege ich zuerst
einmal die textuelle Struktur des typus
unversitatis, des
Weltsymbols Gerhard Mercators, in 10 Punkten
frei (im typus-Bild grau unterlegt).
Klicken Sie die einzelnen Ziffern an, deren "Umfeld" Sie kennenlernen möchten.
typus
Vergleiche den typus des
Ficinus.
Erläuterungen 1 - 10
1
Die Umschrift des typus lautet: Diesen
Kreis umfaßt und schließt ein unermeßlich großes
Dreieck ein: Gott, die Macht des Vaters, die Weisheit des Sohnes und
die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.
Im metaphysischen Bilde des typus
ist Gottes Ort - der Thron Gottes - außerhalb aller Sphären,
über allen Himmeln - wie das Alte
/ Neue Testament immer wieder zu beschreiben
weiß:
Ps 103,19; Weish
9,10; Jes 14,13; 66,1; Sir
40,3; Mt 5,34,35; Apg
7,49; Offb 1,4; 4,2,5 [Lichter = Blitze].
Der Thron Gottes umfaßt in seiner Größe - wie Gott
selbst - das "wohlgerundete All" der Griechen, den Kosmos, totum
mundum. In der Allegorie des typus
heißt das: der alles - außer die Trinität selbst - umspannende
Kreis ist gewissermaßen der Inkreis, des ihn umfassenden gleichseitigen
göttlichen Dreiecks, des menschlichen Schemabildes der (christlichen)
DreiEinigkeit mit der Macht (potentia) des
Vaters, der Weisheit (sapientia) des Sohnes
und der Wirksamkeit (efficacia) des Heiligen
Geistes.
In meiner Rekonstruktion ist der typus Gerhard
Mercators gewissermaßen ein christliches mandala:
imago
mundi - ein Kreis mit Kreisen - und Pantheon zugleich - symbolisiert
als gleichseitiges Dreieck.
Ficinus Theol.Platon. X,7
formuliert die efficacia des DreiEinen mit
hermetischen Worten:
... divinus influxus, ex Deo manans,
per coelos penetrans, descendens per elementa, in inferiorem desinens.
... das göttliche Verströmen, es fließt
beständig aus Gott [ohne zu versiegen], es durchdringt beständig
die Himmel hinuntersteigend durch die Elemente und endet immer zuunterst
[im Kosmos, d.i.: auf der Erde].
Die Trinität selbst - für Ficinus
(gemäß Plotinus) das "unaussprechliche Eine" (´'En)
- ist uniformis & omniformis,
actus,
nicht
motus:
immobilis.
Im Dialogus inter
Deus et animam theologus (610) läßt
Ficinus
Gott sagen:
Coelum et terram ego impleo et penetro
et contineo.
Impleo, non impleor, quia ipsa sum plenitudo.
Penetro, non pentror, quia ipsa sum penetrandi
potestas.
Contineo, non contineor, quia ipsa sum continendi
facultas.
Himmel und Erde erfülle, durchdringe und
schließe ich ein.
Ich erfülle, ohne erfüllt zu werden,
denn ich selbst bin die Fülle.
Ich durchdringe, ohne durchdrungen zu werden,
denn ich selbst bin die Kraft alles Durchdringens.
Ich grenze ein, ohne selbst umgrenzt zu werden,
denn ich bin das Vermögen des Einbeschließens.
2
Das
Empyreum
- der Feuerhimmel - ist der Sitz der Engel und der Seligen: es ist der
Ort der wahren Glückseligkeit (vera beatitudo),
die ewigwährend und unveränderlich ist: [in] Aeterna[m].
Es ist - hermetisch-kabbalistisch betrachtet - der Ort der mens
mundana (NouV ,
Nus), des intellectus divinus sive angelicus
(Ficinus), gleich unzerstörbar, wenn auch nicht uniform, sondern
sich in der Vielfältigkeit vollziehend: die Engel (die Intelligenzen)
existieren / erscheinen gewissermaßen als die Prototypen (Ideen,
Urbilder) der niederen Existenzen. Ihre Einwirkung als "mithelfende Ursachen"
auf das Niedere erfolgt symbolisch durch den "pythagoräischen Korridor"
hindurch. [5].
Für Mercator erstreckt sich die mens
vornehmlich auf die Sphäre der drei äußeren Planeten Saturn,
Jupiter
und Mars [3]. und die sie umschließende Fixsternsphäre
[8].
3
Die drei äußersten = obersten Planeten haben offenbar
gleichartige
Aufgaben wahrzunehmen, da sie in gleicher Weise weit vom "Nabel
der Welt" "lokalisiert" = entfernt sind und nahezu
gleiche Bewegungsformen besitzen. Sie gehören daher ein
und derselben Sphäre an und üben
sehr
wahrscheinlich gleichartige Wirkungen aus:
Prius [ordo]
est trium superiorem, quos propter localem societatem et similes admodum
motus, similes admodum actiones habere verisimile est.
In ihrer Gesamtheit bilden sie einerseits die trinitarische Struktur des
Geistes nach Augustinus
ab:
MENS =
-
Wollen (= Liebe/Streben zum Guten: storge
= storgh) +
-
Fühlen (= affectus)
+
-
Denken (= ratio)
-
Mars beherrscht
dabei das Streben zum Guten,
-
Jupiter
überwacht die Affekte und
Saturn
leitet den Verstand.
In der Struktur der Trias von MENS
- ANIMA - SPIRITUS
bringt das Weltsymbol zugleich die
kabbalistisch-spirituelle Struktur
der Welt gemäß Hermes Trismegistos, Marsilius
Ficinus und Pico della Mirandola zum Ausdruck.
Die anima mundana
(Yuc´h)
umfaßt für Mercator die Sphäre der Sonne mit ihren
Trabanten Merkur und Venus [4]. Für Ficinus
| Mercator ist sie gleich unzerstörbar, aber nicht mehr in ewiger
Ruhe, sondern in ewiger Bewegung wie die Sphären der äußeren
Planeten und der Fixsterne.
Der spiritus
mundanus (nodus,
oder vinculum)
der Kabbala stellt sich bei Mercator als die Vermittlung
der himmlichen mit der irdischen Welt durch die Wirksamkeit des Mondes
dar [6].
Der typus macht daher mit
aller wünschenswerten Deutlichkeit klar, daß er nicht
als eine astronomisch relevante Darstellung der
Welt genommen sein will:
-
Nur schwach deutet sich z.B. das kosmische Nacheinander von Mars,
Jupiter
und Saturn an, und auch die dargestellten Dimensionen der Sternsphären
der ersten, zweiten und dritten Ordnung - nach Gerhard Mercator
- sind astronomisch völlig irrelevant.
Ein Bezug zur astronomischen Weltsicht des - späten - Tycho
Brahe ist von diesem theologisch-kosmologischen Bild des Weltalls
nicht herstellbar.
-
In einer Umkehrung einer Anmerkung von Mästlin in seiner Einleitung
in die Revolutionen des Copernicus könnte
man sagen: Gerhard Mercator schrieb seine Albumblätter nicht
als Astronom sondern
als
Metaphysiker.
4
Die Sonne ist die alles belebende Mitte des planetarischen Alls, ihre Funktion
ist die vivificatio, die Allbelebung.
-
Tihon, der die beiden Albumblätter erstmals
1908
edierte, schrieb fälschlich virrificatio.
Averdunk,
der den Lichtdruck Tihons kommentarlos nachdruckte, berichtigte
den Fehldruck kommentarlos zu "vivificatio".
R.Vermijs
emendatio
führte 1994 zu "virificatio".
(Vergleiche Die Fehler)
Gerhard Mercator kennt die Sonnenmetaphysik
des Altertums - Erläuterungen folgen in der Abhandlung - und er weiß,
daß spätestens seit Cicero und Vitruv die später
so genannte "ägyptische Hypothese" mit dieser Metaphysik astronomisch
einhergeht. Er ordnet daher den Trabanten der Sonne, Merkur
und Venus, Funktionen der Sonnensphäre
zu: Die Venus übernimmt gemäß
der Verschwisterung von neuplatonischer Metaphysik und jüdischer Kabbala
(Ficinus/Mirandola: Hermes Trismegistos) die Aufgabe der foecunditas,
indem sie die Fruchtbarkeit der lebenden Wesen unterstützt; der Merkurübernimmt
die Aufgabe der activitas, indem er
dem aktiven irdischen Handeln und Tun von Mensch und Tier seine Unterstützung
zukommen läßt.
.
Sonne, Merkur
und Venus beherrschen insgesamt den Bereich
des Vitalen, unterstützen sowohl
die Aktivitäten der lebendig-machenden Seele als auch die Möglichkeiten
des körperlichen Ortswechsels:
-
Secundus ordo est Solis, Mercurii et Veneris, quos
constat [!] simul
uno modio motu moveri et perpetuo se mutue comitari. ...,
-
Sonne, Merkur und Venus gehören der zweiten kosmischen Sphäre
an, und von ihnen weiß [!] man | steht fest [!], daß sie auf
eine einzige - d.i. gleiche - Weise ihre Bewegung vollziehen und sich ständig
wechselseitig begleiten.
Von Merkur und Venus
als den "Begleitern" = comites der Sonne ist
bei den Lateinern spätestens bei Cicero die Rede.
5
Das Y ist der "pythagoräische Buchstabe", d.i. derjenige Buchstabe
der "heiligen Philosophie" des Pythagoras
- in der Überlieferung der "heiligen Philosophie" vermischen sich
die Person Pythagoras mit der ihm folgenden "pythagoräische
Schule" - , der - hier - die substantielle - harmonische - Vereinigung
( I ) der beiden - konträren - Komponenten ( \ /
= V) darstellt, aus denen der - hermetisch: männlich-weibliche=androgyne
- Mensch besteht, insofern er genau so am himmlisch-Ewigen Anteil
hat wie am elementar-Irdischen, - in der Sprache der Kategorien des Pythagoras
(von denen uns Aristoteles Mitteilung macht) von Begrenzt und Unbegrenzt
(1) und Gut und Böse (9) stellt das Y ein Symbol der Entstehung
der Dinge aus den Gegensätzen dar. Nach Philo dem Juden ist
es vielleicht das Siegel, das der schöpfende Gott im Ur-Sprung
dem formlosen Chaos aufgedrückt hat.
Ohne Zweifel ist das Y sein - des Pythagoras
- Buchstabe: Mit 'HYGIAINEIN!' - wie
das Wort ´ugiainein
(gesund leben) zur Zeit des Pythagoras geschrieben wurde - begrüßten
sich "die Pythagoräer", und man meinte damit nicht nur die Gesundheit
des Körpers ('Gesundheit!'), sondern auch die des Geistes.
Für Gerhard Mercator bringt der "Korridor" - aus dem
"Feuerhimmel" der quinta
essentia in den "Bodensatz der Welt"
(materiafex mundi) hineinführend
- im typus die Sympathie des Oberen
für das Untere augenfällig zum Ausdruck: Aus dem Himmel der Engel
stammen - typisch scholastischer Tradition folgend - die mithelfenden Zweitursachen
der irdischen Formen der Existenz.
Auf die "wunderbare Philosophie"
des
Pythagoras kommt Gerhard Mercator in den Kosmographischen
Gedanken I.2 zu sprechen:
der Gnostiker Valentinus hat sie - für Gerhard Mercator
offenbar ?unglücklicherweise - in sein Evangelium
der Wahrheit "hinein-vermischt".
Die Elemente der Philosophie des Y,
das in der späteren Lehre
des Hermetismus eine bedeutende
Rolle gespielt hat, hat Gerhard Mercator mindestens bei Marsilio
Ficino, Pico della Mirandola und bei seinem Freund
John
Dee vorgefunden.
Interessant ist, daß der pythagoräische
Korridor in zwei Loxodromen, den Kurven des Globus von 1541 (und - rektifiziert
- der Weltkarte von 1569), ausläuft.
6
Der Mond hat in seiner erdnächsten Sphäre
die Aufgabe, die Kräfte der oberen Welt - der Welt "über dem
Mond" - in seine feuchte und bewegliche, gleichsam zum Leben und zur (örtlichen
Fort-) Bewegung geeignete, dichtere Substanz [als die der Sterne] aufzunehmen
und sie in die Körper - "unter dem Monde" - einfließen zu lassen,
um sie auf diese Weise mit den notwendigen oberen Fähigkeiten auszustatten.
-
Tertius ordo est solius lunae quae omnes superiorum
virtutes in humiditate tamquam solidiore substantia mobili tamen et vitae
motuique locali idonea figens veluti colligens corporibus infundit eaque
omni necessaria superna virtute irrigat.
Gerhard Mercator übernimmt damit Auffassungen, die Ptolemäus
in seinem Vierbuch über die Astrologie
vertritt:
-
Der Mond scheint ebenso [wie
die Sonne] seinen Einfluß auf alles
Erdhafte geltend zu machen, da fast alles Beseelte und Unbeseelte die Kraft
des Mondes und seine Wirkung zu empfinden vermag.
Er wirkt wie ein Pfropfreis: insitio
nennt Gerhard Mercator diese spezifische Eigenschaft des Mondes.
-
Die Wirkungen des Mondes sind [dabei]
offensichtlichere [als die der anderen, weiter
entfernten Gestirne] und kehren häufiger
wieder ..., wobei insbesondere der Mond mit der Feuchtigkeit in Verbindung
gebracht wird: Der Mond zeichnet sich durch seine Eigenschaft zu feuchten
aus, da er sich nahe der Erde aufhält und der Nachbar feuchter Dünste
und Nebel ist.
Irrigatio heißt es im typus.
-
Ganz offensichtlich beeinflußt er dieser Richtung
hin Körper, macht sie weich und führt sie meistens in Fäulnis
über. In einem gewissen Maße wärmt er auch, da er von der
Sonne sein Licht empfängt.
7
Zuerst schuf Gott das Chaos aus dem
Nichts.
Das Chaos ist das erste materielle
Etwas, aus dem sich kraft der von Gott in diese "erste
Materie" hineingelegten Naturgesetze alles entwickelt:
Es heißt in den Kosmographischen Gedanken
II.4:
-
Wir ziehen also den Schluß, daß das Chaos
die Urmaterie aller Dinge gewesen ist, die in ihrem Wesen den Keim aller
Qualitäten und Formen hatte, d.h., eine einzige, einfache und kunstlose
Natur, die auf so viele Arten von Qualitäten und Formen gebracht und
verteilt werden konnte, wie sie nun in der gesamten Natur vorhanden sind
... Es ist für alles gleichsam die Mutter.
Gerhard Mercators "erste Materie"
ist also in keinem Fall mit der materia prima
des Aristoteles und der seiner Physik
folgenden scholastischen Philosophen zu verwechseln. Das "prima"
Gerhard
Mercators ist kosmologisch-strukturaler Natur, nicht aber metaphysisch(ontologisch)-unzeitliche
Formbeziehung. Er stimmt darin mit Johannes Duns Skotus (-1308)
überein, der in seiner Untersuchung Über
den Ursprung der Dinge - De rerum principio
quaest. 8 art.4 Nr. 24, dafür hält ...,
quod in omnibus creatis per se subsistentibus, tam corporalibus quam spiritualisbus,
sit materia [teneo], daß also das, was sich in allem Geschöpflichen,
ob körperlicher oder geistiger Natur, als das Zugrundeliegende erweist,
die Materie ist. Sie tritt als incommunicabiliter
per se esse nicht als positives Merkmal zur Existenz der Dinge hinzu,
sondern meint die allein die Negation von Inhärenz und Abhängigkeit
(ultra existentiam nihil addit nisi negationem duplicis
dependentiae (In lib.III sent. quaestio
6, art.1, Nr. 2).
Bei Aristoteles bezeichnet "materia"
weniger etwas Stoffliches als vielmehr so etwas wie ein "Programm", nämlich
die Aufgabe, Gegenständliches in seinem Werden und Entstehen zu erforschen
im Hinblick auf Form, Bewegungsursache und Ziel.
-
Für seinen Materiebegriff gilt, daß er ausschließlich
als Relation zwischen Gegenständen zu verstehen ist: a ist
Materie von b.
Seine "erste Materie" bezeichnet
Gerhard
Mercator im typus als "den
Bodensatz oder die Hefe des Weltalls" (materiafex
mundi), - in den Kosmographischen Gedanken
später als das Chaos, woraus
sich alles entwickelt hat. "Materia prima"
ist ihm der urgeschöpfliche Stoff, der aller formbesitzenden
Existenz als Grundstoff - als strukturelles Element
- geschöpflich
voraufliegt und - wie bei den "Alten Physikern" - den Stoikern -
als ein einheitliches Ganze sowohl ein aktives als auch ein passives Prinzip
(arch)
in sich birgt. Als den passiven Teil interpretiert Gerhard Mercator
die ´ulh
(hyle) der Stoiker, als den aktiven Teil den "luft- und feuerartigen Hauch",
das pneuma,
das
die prwth
´ulh
völlig durchsetzt.
Ficinus schreibt in seinem Kommentar
zu Plotinus: Enneade II.4,16:
Materie ist non simpliter quasi nihilum,
sed extrema ad primum ens oppositio ... Proinde, cum acceptis bonis, id
est formis, adhuc restet informis ...
Und in seinem Kommentar
zu Dionysius Areopagita drückt er
die Auffassung Mercators wie folgt aus:
Die Materie ist weder etwas Böses
noch etwas spezifisch Gutes, sie ist [einfachhin] etwas Notwendiges.
Materia neque malum est, neque proprium bonum,
sed aliquid necessarium.
Im Gegensatz zu Gerhard Mercator gibt Thomas von Aquin
z.B.
der Frage, ob den Himmelssphären die gleiche Materie wie den körperhaften
Gegenständen - ob beiden also eine einzige formlose Materie
- zukomme, die Antwort: Nein, höchstens aus Gründen der
Analogie,
während der arabische Philosoph
Averroes sogar nur von einer
Äquivokation
(ein Name bezeichnet wohlunterscheidbare Dinge in mehrdeutigem
Gebrauch) sprechen wollte:
-
Non est una materia omnium corporum corruptibilium
(der
zerstörbaren körperlichen Dinge)
et incorruktibilium
(der unzerstörbaren
körperlichen Dinge), nisi secundum analogiam.
(Summa
theologica I, q.66 a.2)
Zu dem folgenden Kosmographischen Gedanken II.7
könnte sich also Thomas nie verstehen:
-
So schreitet die Schöpfung voran: Der Schöpfung
folgt die Tätigkeit der Natur auf dem Fuß, und beide wirken
dann gemeinsam bei den übrigen Werken Gottes.
Vermutlich würde Thomas von Aquin Gerhard Mercators
materia
prima als materia signata, als
"bezeichnete Materie", d.i. als Materie unter dem Gesichtspunkt in ihr
verborgener Tendenzen zur Bestimmtheit einer individuellen Existenz identifizieren,
als
materia sub determinatis dimensionibus.
Die Erde umschließt das Nichts,
aus dem Gott alles schuf. In ihr "kondensieren" die Elementaria,
deren Existenzform dann das Leben in seiner Beweglichkeit ist.
In ähnlicher Weise drückte sich der große Paracelsus
aus, der noch in der tagtäglichen Nahrungsaufnahme eine Anverwandlung
und Aufnahme der kosmischen Elementaria durch
den aus diesen Elementen zusammengesetzten Menschen sah. (Wir kommen in
der Abhandlung ASTROLOGIE ausführlicher darauf zu sprechen.)
Unter allem sich "von selbst Bewegendem"
ist der Mensch das vollkommenste Wesen.
Im Hinblick auf den "aktiven" Einfluß des Himmlischen (Actio)
ist das Irdische durch das sich hingebende Aufnehmen und schlichte Vernehmen
(passio) dieser
Kräfte definiert.
Diese Deutung und Stellung des Nichts = Nichtseienden verdankt
Gerhard
Mercator hier wie in den "abschließenden“ Kosmographischen
Gedanken seiner kosmologischen Interpretation augustinischer
Texte:
"Wie man nämlich von dem Eigenschaftswort
"weise" das Hauptwort "Weisheit" ableitet, so von dem Zeitwort 'sein' oder
'wesen' das Wort 'Wesenheit' [essentia],
ein freilich neues Wort, das die alten Lateiner noch nicht kannten, das
aber zu unseren Zeit in Brauch ekommen ist, um das griechische 'Usia'
[ousia] wiederzugeben
- denn davon ist Wesenheit die wörtliche Übersetzung. So ist
denn dem Wesen, das zuhöchst ist und dessen Schöpfungsmacht alles,
was ist, das Sein verdankt, kein Wesen entgegengesetzt, sondern nur das
Nichtseiende. Denn dem, was ist, steht das Nichtsein gegenüber. Deshalb
also ist Gott, nämlich der höchsten Wesenheit und dem Urheber
aller Wesen, die es irgend gibt, keine Wesenheit entgegengesetzt. - nur
das Nichts."
Nach Gerhard Mercator unterliegt es keinem Zweifel, daß es
Spuren des überhimmlischen Gewässers - die letzte Verfeinerung
der Chaosmaterie in ihrer Evolution - in dieser unteren Welt gibt:
In diesem - unteren - Teil der Welt gibt es bis
heute Reste jener Materie, aus der die himmlischen und überhimmlischen
Dinge erschaffen sind, so daß eine natürliche Zuneigung
und Sympathie seitens der oberen Welt zur unteren und Respekt und Sehnsucht
seitens der unteren Welt nach der oberen vorhanden ist. Von den letzteren
hängt auch die Neigung der oberen Dinge zu den unteren wie ihre Mitwirkung
bei den unteren ab.
Kosmographische Gedanken II.17.
Über das Chaos und die "erste
Materie" sind unbedingt die Kapitel II.3-5 der Kosmographischen
Gedanken nachzulesen.
8
Der Himmel (coelum) und was ihm alles
angehört: die Himmlischen Dinge (coelestia)
umgrenzen die Erde bis zum Fixsternhimmel als dasjenige, das nicht der
Unveränderlichkeit des Ewigen zugehört. Dieses Himmlische ist
nur als bzw. im Übergang zu begreifen:
-
transitoria haec sunt omnia coelestia.
Der "wahre" Himmel ist der Ort der unveränderlichen wahren Glückseligkeit
(vera beatitudo), der Feuerhimmel,
das coelum empyreum, der Ort der Engel
und der Glückseligen.
Saturn, Jupiter
und Mars beeinflussen den Geist (mens),
die drei-einheitliche Struktur der imago Dei, die Quelle und Substanz
der Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen, dem splendor
divinae bonitatis, der förmlich der Abglanz der göttlichen
Güte ist.
Die Sonne und ihre beiden Trabanten beherrschen das zwischen der ersten
und der dritten Ordnung der Gestirne liegende Reich der kosmischen Welt-Seele
(anima). Diese
durchwebt den gesamten Kosmos und macht damit die - für die hermetische
Philosophie der Renaissance so unendlich wichtige - Analogie zwischen dem
Makrokosmos
(Welt) und dem Mikrokosmos (Mensch) möglich. Der lebendig-machende
Hauch Gottes (spiritus),
dessen irdischen Ort das menschliche Herz ist, dessen kosmischer Ort in
der Sphäre des Mondes zu suchen ist, ist damit funktional wohl unterschieden
von der
imago Dei, der Gott-ähnlich-machenden Seele (mens)
im Menschen, deren Kausalität wir in den Kosmographischen
Gedanken kennenlernen.
Die himmlischen Dinge oberhalb der Elementaria
bis zum Fixsternhimmel sind für Gerhard Mercator sämtlich
vergängliche (corruptibilia: Thomas
von Aquin) Dinge.
Und schon Basilius der Große zieht aus dem Im
Anfang schuf Gott - womit der gotterleuchtete Unterricht [durch
Moses] beginnt - den Schluß, daß
darin die Lehre von der Endlichkeit und Wandelbarkeit der Welt vorherverkündigt
ist:
So darfst du dich auch nicht deshalb,
weil die im Kreise sich bewegenden Dinge auf sich selbst zurücklenken
und ihre gleichmäßige Bewegung durch keinen Stillstand unterbrochen
wird, dem Irrtum hingeben, die Welt sei ohne Anfang und ohne Ende. 'Denn
die Gestalt dieser Welt vergeht' [1 Kor 7,31],
und 'Himmel und Erde werden vergehen.' [Mth 24,25].
(Sic) transit gloria mundi:
der Ruhm / der Glanz dieser Welt ist vergänglich.
Über den Feuerhimmel (und die incorruptibila)
lese man das betreffende Kapitel der Kosmographischen
Gedanken nach.
9
Im Schema des gleichseitigen Dreiecks, das ich dem typus
beigefügt habe, dem Symbol der DreiEinigkeit als der Fundamentalrelation
im Gottesbegriff der Christen ist GottVater - "oben", "zuhöchst",
"überall" und alles umfassend:
-
Omne bonum desuper est descendens a patre limunum
et fonte omnis boni.
Alles Gute kommt von Oben herab; es steigt hernieder
vom Vater allen Lichtes und Quell alles Guten.
.
In seiner Schrift Über die beiden Hierarchien
1,1 sagt Dionysius Pseudo-Areopagitus:
Jede gute Gabe und jedes vollkommene
Geschenk kommt von oben, indem es vom Vater der Lichter herabsteigt.
Vgl. auch Jak 1,17:
Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben,
vom Vater der Lichter, bei dem kein Wechsel ist oder ein Schatten von Veränderung.
Auf diesen Text bezieht sich offenbar auch die Inschrift Transitoria
haec sunt omnia coelestia, die in die Sphären unterhalb
des Empyreums eingetragen ist:
Alle diese himmlischen Dinge werden vergehen.
Sie ist womöglich - ?offenbar - dem 90. Sermon
des hl. Augustinus entnommen (Stichwort transitoria).
Der restliche - oberhalb des Fixsternhimmels gelegene - Himmel des "überhimmlischen
Gewässers“ ist dagegen unvergänglich, ewig.
Gerhard Mercator macht seine schöpfungsoptimistischen Aussagen
nicht erst am Ende seines Lebens, spätestens 1573
- in Wahrheit vermutlich sehr viel früher, aber mit Gewißheit
erst nach 1563 - ist seine Ontologie
manifest:
Das Seiende und das Gute (in der Schöpfung) sind ein und
dasselbe.
Ens et bonum convertuntur, das Seiende und das Gute können ausgetauscht
werden, sagt Thomas von Aquin - und mit ihm das gesamte Mittelalter,
- mit ihm Gerhard Mercator.
Aber nicht erst der engelgleiche Lehrer Thomas lehrt ihn dies, es
ist die alte Aussage der frühen Christenheit, die den Timaios
Platos
"christianisierte":
Und Gott sah, daß alles gut war.
Augustinus sagt in De civitate Dei,
Über den Gottesstaat, Kapitel 21 ENDE:
Weil es uns hochnötig war, dreierlei
über das [von Gott] Geschaffene zur Kenntnis
zu nehmen, nämlich wer es geschaffen, wodurch er es geschaffen und
weshalb hat er es geschaffen, hören wir [von Moses]:
'Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Und Gott sah, daß
das Licht gut war.' Fragen wir also, wer es geschaffen hat, lautet die
Antwort: 'Gott', fragen wir, wodurch er's geschaffen, hören wir
[von Moses]: 'Er sprach: es werde, und es ward',
fragen wir, weshalb, heißt es: 'Weil es gut war.' Kein Urheber erhabener
als Gott, keine Kunst wirksamer als Gottes Wort, kein Beweggrund besser,
als daß vom guten Gott Gutes geschaffen werde. Auch Plato
nennt diesen Beweggrund der Weltschöpfung den einzig wahren, nämlich
daß vom guten Gott gute Werke hervorgebracht werden sollten. Vielleicht
hat er dies [bei Moses] gelesen, oder es von
anderen, die es [bei Moses] lasen, vernommen,
oder er hat selbst mit hellem Geistesauge Gottes unsichtbares Wesen an
den Werken der Schöpfung geschaut und erkannt, oder endlich es von
denen, die es geschaut, gelernt.
22 ANFANG:
Diesen Beweggrund jedoch, nämlich
daß Gottes Güte Gutes schaffen wollte, diesen, sage ich, ebenso
gerechten wie zureichenden Beweggrund, der, sorgfältig betrachtet
und fromm erwogen, alle Streifragen über den Ursprung der Welt erledigt,
haben einige Häretiker nicht eingesehen.
Es ist dieselbe Ontologie, die Mars
und Saturn gut sein läßt:
Was er [Gott] geschaffen
hat, ist gut, weil es von ihm stammt, doch auch wandelbar, weil es nicht
aus ihm, sondern aus nichts erschaffen ist.
Civitate 12,1.
Selbst die Natur, an der sich "die Verfehlung" Adams auswirkt, ist etwas
Gutes (Civitate 12,3), denn
diese Geschöpfe haben auf den Wink des Schöpfers die Bestimmung
empfangen, kommend und gehend die niedere Schönheit des Weltenlaufs
darzustellen
- infimam pulchritudinem temporum
-, wie sie in ihrer Art den Teilen dieser Welt entspricht. Denn
das Irdische sollte nicht dem Himmlischen gleichen, durfte aber dem Weltall
deswegen nicht fehlen, weil das Himmlische edler ist.
Civitate 12,4.
Die Stufung des Weltalls
durch den 'Ich bin, der ich bin' spiegelt sich auch im typus
wieder:
Denn da Gott die höchste Wesenheit
ist, das heißt zuhöchst ist und darum auch unwandelbar ist,
hat er den Dingen, die er aus nichts erschuf, wohl ein Sein, aber nicht
das höchste Sein gegeben, wie er es selbst besitzt. Und zwar verlieh
er den einen einen höheren Grad des Seins als den anderen und stufte
die Naturen der Wesenheit gegen einander ab.
Civitate 12,2.
10
Dem Fixsternhimmel kommt die Aufgabe zu, den einzelnen Planeten die Entwicklung
ihrer je besonderen Kräfte und Wirksamkeiten zu vermitteln:
-
coelum stellatum specificas virtutes elaborandas
tradit.
Philipp Melanchton schreibt im Vorwort
zum Tetrabiblos des Ptolemäus:
Und es ist diese Übereinstimmung
des Oberen und des Unteren selbst wiederum ein Zeugnis Gottes, und ein
Beweis für die Vorauserkenntnis (... welche die Astrologie ermöglicht).
Dieser Auffassung z.B. widerspricht Paracelsus, indem er den Fixsternen
die astrologische Bedeutungslosigkeit "unfruchtbarer
Weiber" beilegt, die höchstens unter dem Einfluß
der Planeten erregt und geschwängert werden - eine Auffassung, die
sich der junge Tycho Brahe in seiner Inauguralvorlesung oratio1574zu
Eigen machte. (Opera I, 144-173, vgl.
Thoren
82; im übrigen lehrt Tycho die Astrologie des ptolemäischen
Vierbuches.)
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