Bevor ich in die eigentlichen Untersuchungen eintrete, lege ich zuerst
einmal die textuelle Struktur des typus
unversitatis, des
Weltsymbols Gerhard Mercators, in 10 Punkten
frei (im typus-Bild grau unterlegt).
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typus
Vergleiche den typus des Ficinus. Erläuterungen 1 - 10 1 Die Umschrift des typus lautet: Diesen Kreis umfaßt und schließt ein unermeßlich großes Dreieck ein: Gott, die Macht des Vaters, die Weisheit des Sohnes und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Im metaphysischen Bilde des typus
ist Gottes Ort - der Thron Gottes - außerhalb aller Sphären,
über allen Himmeln - wie das Alte
/ Neue Testament immer wieder zu beschreiben
weiß:
Ps 103,19; Weish
9,10; Jes 14,13; 66,1; Sir
40,3; Mt 5,34,35; Apg
7,49; Offb 1,4; 4,2,5 [Lichter = Blitze].
Ficinus Theol.Platon. X,7 formuliert die efficacia des DreiEinen mit hermetischen Worten: ... divinus influxus, ex Deo manans, per coelos penetrans, descendens per elementa, in inferiorem desinens.Die Trinität selbst - für Ficinus (gemäß Plotinus) das "unaussprechliche Eine" (´'En) - ist uniformis & omniformis, actus, nicht motus: immobilis. Im Dialogus inter Deus et animam theologus (610) läßt Ficinus Gott sagen: Coelum et terram ego impleo et penetro et contineo. 2 Das Empyreum - der Feuerhimmel - ist der Sitz der Engel und der Seligen: es ist der Ort der wahren Glückseligkeit (vera beatitudo), die ewigwährend und unveränderlich ist: [in] Aeterna[m]. Es ist - hermetisch-kabbalistisch betrachtet - der Ort der mens mundana (NouV , Nus), des intellectus divinus sive angelicus (Ficinus), gleich unzerstörbar, wenn auch nicht uniform, sondern sich in der Vielfältigkeit vollziehend: die Engel (die Intelligenzen) existieren / erscheinen gewissermaßen als die Prototypen (Ideen, Urbilder) der niederen Existenzen. Ihre Einwirkung als "mithelfende Ursachen" auf das Niedere erfolgt symbolisch durch den "pythagoräischen Korridor" hindurch. [5]. Für Mercator erstreckt sich die mens vornehmlich auf die Sphäre der drei äußeren Planeten Saturn, Jupiter und Mars [3]. und die sie umschließende Fixsternsphäre [8]. 3 Die drei äußersten = obersten Planeten haben offenbar gleichartige Aufgaben wahrzunehmen, da sie in gleicher Weise weit vom "Nabel der Welt" "lokalisiert" = entfernt sind und nahezu gleiche Bewegungsformen besitzen. Sie gehören daher ein und derselben Sphäre an und üben sehr wahrscheinlich gleichartige Wirkungen aus: Prius [ordo] est trium superiorem, quos propter localem societatem et similes admodum motus, similes admodum actiones habere verisimile est.In ihrer Gesamtheit bilden sie einerseits die trinitarische Struktur des Geistes nach Augustinus ab: MENS =
Saturn leitet den Verstand. Die anima mundana (Yuc´h) umfaßt für Mercator die Sphäre der Sonne mit ihren Trabanten Merkur und Venus [4]. Für Ficinus | Mercator ist sie gleich unzerstörbar, aber nicht mehr in ewiger Ruhe, sondern in ewiger Bewegung wie die Sphären der äußeren Planeten und der Fixsterne. Der spiritus mundanus (nodus, oder vinculum) der Kabbala stellt sich bei Mercator als die Vermittlung der himmlichen mit der irdischen Welt durch die Wirksamkeit des Mondes dar [6]. Der typus macht daher mit aller wünschenswerten Deutlichkeit klar, daß er nicht als eine astronomisch relevante Darstellung der Welt genommen sein will:
4 Die Sonne ist die alles belebende Mitte des planetarischen Alls, ihre Funktion ist die vivificatio, die Allbelebung.
5 Das Y ist der "pythagoräische Buchstabe", d.i. derjenige Buchstabe der "heiligen Philosophie" des Pythagoras - in der Überlieferung der "heiligen Philosophie" vermischen sich die Person Pythagoras mit der ihm folgenden "pythagoräische Schule" - , der - hier - die substantielle - harmonische - Vereinigung ( I ) der beiden - konträren - Komponenten ( \ / = V) darstellt, aus denen der - hermetisch: männlich-weibliche=androgyne - Mensch besteht, insofern er genau so am himmlisch-Ewigen Anteil hat wie am elementar-Irdischen, - in der Sprache der Kategorien des Pythagoras (von denen uns Aristoteles Mitteilung macht) von Begrenzt und Unbegrenzt (1) und Gut und Böse (9) stellt das Y ein Symbol der Entstehung der Dinge aus den Gegensätzen dar. Nach Philo dem Juden ist es vielleicht das Siegel, das der schöpfende Gott im Ur-Sprung dem formlosen Chaos aufgedrückt hat. Ohne Zweifel ist das Y sein - des Pythagoras - Buchstabe: Mit 'HYGIAINEIN!' - wie das Wort ´ugiainein (gesund leben) zur Zeit des Pythagoras geschrieben wurde - begrüßten sich "die Pythagoräer", und man meinte damit nicht nur die Gesundheit des Körpers ('Gesundheit!'), sondern auch die des Geistes.
Auf die "wunderbare Philosophie" des Pythagoras kommt Gerhard Mercator in den Kosmographischen Gedanken I.2 zu sprechen: der Gnostiker Valentinus hat sie - für Gerhard Mercator offenbar ?unglücklicherweise - in sein Evangelium der Wahrheit "hinein-vermischt".Die Elemente der Philosophie des Y, das in der späteren Lehre des Hermetismus eine bedeutende Rolle gespielt hat, hat Gerhard Mercator mindestens bei Marsilio Ficino, Pico della Mirandola und bei seinem Freund John Dee vorgefunden. Interessant ist, daß der pythagoräische Korridor in zwei Loxodromen, den Kurven des Globus von 1541 (und - rektifiziert - der Weltkarte von 1569), ausläuft.
6 Der Mond hat in seiner erdnächsten Sphäre die Aufgabe, die Kräfte der oberen Welt - der Welt "über dem Mond" - in seine feuchte und bewegliche, gleichsam zum Leben und zur (örtlichen Fort-) Bewegung geeignete, dichtere Substanz [als die der Sterne] aufzunehmen und sie in die Körper - "unter dem Monde" - einfließen zu lassen, um sie auf diese Weise mit den notwendigen oberen Fähigkeiten auszustatten.
7 Zuerst schuf Gott das Chaos aus dem Nichts. Das Chaos ist das erste materielle Etwas, aus dem sich kraft der von Gott in diese "erste Materie" hineingelegten Naturgesetze alles entwickelt: Es heißt in den Kosmographischen Gedanken II.4:
Bei Aristoteles bezeichnet "materia" weniger etwas Stoffliches als vielmehr so etwas wie ein "Programm", nämlich die Aufgabe, Gegenständliches in seinem Werden und Entstehen zu erforschen im Hinblick auf Form, Bewegungsursache und Ziel.Seine "erste Materie" bezeichnet Gerhard Mercator im typus als "den Bodensatz oder die Hefe des Weltalls" (materiafex mundi), - in den Kosmographischen Gedanken später als das Chaos, woraus sich alles entwickelt hat. "Materia prima" ist ihm der urgeschöpfliche Stoff, der aller formbesitzenden Existenz als Grundstoff - als strukturelles Element - geschöpflich voraufliegt und - wie bei den "Alten Physikern" - den Stoikern - als ein einheitliches Ganze sowohl ein aktives als auch ein passives Prinzip (arch) in sich birgt. Als den passiven Teil interpretiert Gerhard Mercator die ´ulh (hyle) der Stoiker, als den aktiven Teil den "luft- und feuerartigen Hauch", das pneuma, das die prwth ´ulh völlig durchsetzt. Ficinus schreibt in seinem Kommentar zu Plotinus: Enneade II.4,16: Materie ist non simpliter quasi nihilum, sed extrema ad primum ens oppositio ... Proinde, cum acceptis bonis, id est formis, adhuc restet informis ...Und in seinem Kommentar zu Dionysius Areopagita drückt er die Auffassung Mercators wie folgt aus: Die Materie ist weder etwas Böses noch etwas spezifisch Gutes, sie ist [einfachhin] etwas Notwendiges.
Die Erde umschließt das Nichts, aus dem Gott alles schuf. In ihr "kondensieren" die Elementaria, deren Existenzform dann das Leben in seiner Beweglichkeit ist.
Im Hinblick auf den "aktiven" Einfluß des Himmlischen (Actio) ist das Irdische durch das sich hingebende Aufnehmen und schlichte Vernehmen (passio) dieser Kräfte definiert. Diese Deutung und Stellung des Nichts = Nichtseienden verdankt Gerhard Mercator hier wie in den "abschließenden“ Kosmographischen Gedanken seiner kosmologischen Interpretation augustinischer Texte:
Kosmographische Gedanken II.17.
8 Der Himmel (coelum) und was ihm alles angehört: die Himmlischen Dinge (coelestia) umgrenzen die Erde bis zum Fixsternhimmel als dasjenige, das nicht der Unveränderlichkeit des Ewigen zugehört. Dieses Himmlische ist nur als bzw. im Übergang zu begreifen:
Saturn, Jupiter und Mars beeinflussen den Geist (mens), die drei-einheitliche Struktur der imago Dei, die Quelle und Substanz der Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen, dem splendor divinae bonitatis, der förmlich der Abglanz der göttlichen Güte ist. Die Sonne und ihre beiden Trabanten beherrschen das zwischen der ersten und der dritten Ordnung der Gestirne liegende Reich der kosmischen Welt-Seele (anima). Diese durchwebt den gesamten Kosmos und macht damit die - für die hermetische Philosophie der Renaissance so unendlich wichtige - Analogie zwischen dem Makrokosmos (Welt) und dem Mikrokosmos (Mensch) möglich. Der lebendig-machende Hauch Gottes (spiritus), dessen irdischen Ort das menschliche Herz ist, dessen kosmischer Ort in der Sphäre des Mondes zu suchen ist, ist damit funktional wohl unterschieden von der imago Dei, der Gott-ähnlich-machenden Seele (mens) im Menschen, deren Kausalität wir in den Kosmographischen Gedanken kennenlernen. Die himmlischen Dinge oberhalb der Elementaria bis zum Fixsternhimmel sind für Gerhard Mercator sämtlich vergängliche (corruptibilia: Thomas von Aquin) Dinge. Und schon Basilius der Große zieht aus dem Im Anfang schuf Gott - womit der gotterleuchtete Unterricht [durch Moses] beginnt - den Schluß, daß darin die Lehre von der Endlichkeit und Wandelbarkeit der Welt vorherverkündigt ist: So darfst du dich auch nicht deshalb, weil die im Kreise sich bewegenden Dinge auf sich selbst zurücklenken und ihre gleichmäßige Bewegung durch keinen Stillstand unterbrochen wird, dem Irrtum hingeben, die Welt sei ohne Anfang und ohne Ende. 'Denn die Gestalt dieser Welt vergeht' [1 Kor 7,31], und 'Himmel und Erde werden vergehen.' [Mth 24,25].Über den Feuerhimmel (und die incorruptibila) lese man das betreffende Kapitel der Kosmographischen Gedanken nach. 9 Im Schema des gleichseitigen Dreiecks, das ich dem typus beigefügt habe, dem Symbol der DreiEinigkeit als der Fundamentalrelation im Gottesbegriff der Christen ist GottVater - "oben", "zuhöchst", "überall" und alles umfassend:
Alles Gute kommt von Oben herab; es steigt hernieder vom Vater allen Lichtes und Quell alles Guten. In seiner Schrift Über die beiden Hierarchien 1,1 sagt Dionysius Pseudo-Areopagitus: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, indem es vom Vater der Lichter herabsteigt.Vgl. auch Jak 1,17: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter, bei dem kein Wechsel ist oder ein Schatten von Veränderung.Auf diesen Text bezieht sich offenbar auch die Inschrift Transitoria haec sunt omnia coelestia, die in die Sphären unterhalb des Empyreums eingetragen ist: Alle diese himmlischen Dinge werden vergehen.Sie ist womöglich - ?offenbar - dem 90. Sermon des hl. Augustinus entnommen (Stichwort transitoria). Der restliche - oberhalb des Fixsternhimmels gelegene - Himmel des "überhimmlischen Gewässers“ ist dagegen unvergänglich, ewig. Gerhard Mercator macht seine schöpfungsoptimistischen Aussagen nicht erst am Ende seines Lebens, spätestens 1573 - in Wahrheit vermutlich sehr viel früher, aber mit Gewißheit erst nach 1563 - ist seine Ontologie manifest: Das Seiende und das Gute (in der Schöpfung) sind ein und dasselbe.Aber nicht erst der engelgleiche Lehrer Thomas lehrt ihn dies, es ist die alte Aussage der frühen Christenheit, die den Timaios Platos "christianisierte": Und Gott sah, daß alles gut war.
Weil es uns hochnötig war, dreierlei über das [von Gott] Geschaffene zur Kenntnis zu nehmen, nämlich wer es geschaffen, wodurch er es geschaffen und weshalb hat er es geschaffen, hören wir [von Moses]: 'Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war.' Fragen wir also, wer es geschaffen hat, lautet die Antwort: 'Gott', fragen wir, wodurch er's geschaffen, hören wir [von Moses]: 'Er sprach: es werde, und es ward', fragen wir, weshalb, heißt es: 'Weil es gut war.' Kein Urheber erhabener als Gott, keine Kunst wirksamer als Gottes Wort, kein Beweggrund besser, als daß vom guten Gott Gutes geschaffen werde. Auch Plato nennt diesen Beweggrund der Weltschöpfung den einzig wahren, nämlich daß vom guten Gott gute Werke hervorgebracht werden sollten. Vielleicht hat er dies [bei Moses] gelesen, oder es von anderen, die es [bei Moses] lasen, vernommen, oder er hat selbst mit hellem Geistesauge Gottes unsichtbares Wesen an den Werken der Schöpfung geschaut und erkannt, oder endlich es von denen, die es geschaut, gelernt.22 ANFANG: Diesen Beweggrund jedoch, nämlich daß Gottes Güte Gutes schaffen wollte, diesen, sage ich, ebenso gerechten wie zureichenden Beweggrund, der, sorgfältig betrachtet und fromm erwogen, alle Streifragen über den Ursprung der Welt erledigt, haben einige Häretiker nicht eingesehen.
Was er [Gott] geschaffen hat, ist gut, weil es von ihm stammt, doch auch wandelbar, weil es nicht aus ihm, sondern aus nichts erschaffen ist.Selbst die Natur, an der sich "die Verfehlung" Adams auswirkt, ist etwas Gutes (Civitate 12,3), denn diese Geschöpfe haben auf den Wink des Schöpfers die Bestimmung empfangen, kommend und gehend die niedere Schönheit des Weltenlaufs darzustellen - infimam pulchritudinem temporum -, wie sie in ihrer Art den Teilen dieser Welt entspricht. Denn das Irdische sollte nicht dem Himmlischen gleichen, durfte aber dem Weltall deswegen nicht fehlen, weil das Himmlische edler ist.
Denn da Gott die höchste Wesenheit ist, das heißt zuhöchst ist und darum auch unwandelbar ist, hat er den Dingen, die er aus nichts erschuf, wohl ein Sein, aber nicht das höchste Sein gegeben, wie er es selbst besitzt. Und zwar verlieh er den einen einen höheren Grad des Seins als den anderen und stufte die Naturen der Wesenheit gegen einander ab. 10 Dem Fixsternhimmel kommt die Aufgabe zu, den einzelnen Planeten die Entwicklung ihrer je besonderen Kräfte und Wirksamkeiten zu vermitteln:
Und es ist diese Übereinstimmung des Oberen und des Unteren selbst wiederum ein Zeugnis Gottes, und ein Beweis für die Vorauserkenntnis (... welche die Astrologie ermöglicht).Dieser Auffassung z.B. widerspricht Paracelsus, indem er den Fixsternen die astrologische Bedeutungslosigkeit "unfruchtbarer Weiber" beilegt, die höchstens unter dem Einfluß der Planeten erregt und geschwängert werden - eine Auffassung, die sich der junge Tycho Brahe in seiner Inauguralvorlesung oratio1574zu Eigen machte. (Opera I, 144-173, vgl. Thoren 82; im übrigen lehrt Tycho die Astrologie des ptolemäischen Vierbuches.) |