Sextus dies incipit  Der Sechste Tag beginnt
Die Kapitel I.II.16-17 handeln von den Werken des Sechsten Tages (17 fällt dabei in Gänze der Römischen Inquisition anheim); I.II.18-19 behandeln die theologischen Aspekte des Sündenfalles: 18 handelt vom Ursprung der Erbsünde und dem Unglück, das dem Menschengeschlecht aus dieser Sünde erwachsen ist (wobei Gerhard Mercator dann in der Übernahme paulinischer wie augustinischer theologischer Aussagen zur Natur der Sünde Adams ein weiteres Mal in Konflikt mit der Römischen Inquisition gerät); 19 - wieder in Gänze von der Zensur "aufgehoben" - behandelt die von der göttlichen Vorsehung in den Plan der Schöpfung gestellte Heilung des Sündenfalles.


I.II.16: Nachdem wir die beiden ersten Gattungen der dritten Stufe kennengelernt haben, folgt nun die dritte, die Gattung der Landtiere, - "die in bezug auf Sinneswahrnehmung und Bewegung dem Menschen umso mehr ähneln, je später sie erschaffen sind. Hinsichtlich des Denkvermögens aber übertrifft er sie überhaupt alle, da sie nichts Derartiges besitzen.. Aber was werden wir vom Affen sagen?
In Anbetracht [der überaus großen Ähnlichkeit des Affen mit dem Menschen] ist es vernünftig, die Anatomie des Affen sehr sorgfältig zu betrachten und zu prüfen, wie sehr und worin sich seine innere Verfassung vom Inneren des Menschen unterscheidet" ...
Mercator kommt bei der allgemein zu beobachtenden Anverwandlung der Nahrung "in die [je eigene] Art" wieder auf die von ihm vertretene Harmonielehre des Kapitels 13 (Über den Baum des Lebens) zu sprechen. Es stellt sich ihm hier jetzt aber die Frage, "ob die jetztige Natur und Lebensbedingung der Lebenwesen zustande gekommen wäre, hätte der Mensch nicht gesündigt?" Wäre z.B. auch ohne Adams Sünde der Tod der Tiere in Gottes weiser Vorsicht vorgekommen? Ohne Zweifel: Ja. "Wozu wären sie denn unsterblich gewesen, da sie nur dazu bestimmt waren, dem Menschen zu dienen ... Den Menschen hätten sie durch ihren Gehorsam [bis zum Tode] geehrt. Denn Gott setzte Adam als Herrscher über alles ein, was unter dem Himmel ist (Gen 1,28-30), und Gen 3.21 verfertigte Gott Adam und seinem Weib Kleider aus Fellen, die zweifellos tote Tiere geliefert hatten, denn Gott hatte vorher schon aufgehörtzu erschaffen."
Ich bezeichne die hier von Gerhard Mercator angezeigte Deutung des Siebten Tages der Schöpfung - in dem wir jetzt noch leben - als die "starke" Auslegung des göttlichen Sabbats: Gen 2,2: "Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte."

Gen 3,21 dient Gerhard Mercator lediglich dazu, das vorhergehende Argument (vom Tod der Tiere) auch angesichts eines möglicherweise nicht-sündhaften Lebens im Paradies {d.h. ohne den Fall der Stammeltern) zu stützen: Das Beschaffen der ersten Kleidung nach dem Sündenfall war kein creare mehr, sondern allein ein fabricare, denn Gott hatte zu diesem Zeitpunkt sein Schöpfungswerk längst abgeschlossen. 

Da selbst noch in der Auflage von 1606 der Druckfehler "Gen 2" für "Gen 3" enthalten ist, haben sich an ihn völlig leerlaufende Spekulationen theologischer Art geknüpft. Der letzte Satz des Kapitels aber lautet (korrekt): "Et Gen.3.V.21 fecit Deus Adae & vxori eius tunicas pellicas, quas mortua animalia procul dubio dederant, cessauerat enim Deus iam antea creare". Mit dem mosaischen Zitat bringt Gerhard Mercator den DreiEinenGott nicht als Schöpfer - die Erste Person - sondern als Erhalter - die Dritte Person - ins Spiel, - von dem er dann noch im nächsten Kapitel handeln wird. Es wird damit am relativen Ende seiner Gedankengänge - wieder einmal - deutlich, daß Gerhard Mercator in seinen Kosmographischen Gedanken nicht die - dem nächsten Kapitel vorbehaltene - Menschenschöpfung thematisiert, sondern allein die Weltschöpfung, zu der allerdings - notwendigerweise - der "Aufstieg" und der Fall Adams hinzugehört: Ohne die Sünde der Stammeltern am Morgen der Menschheitsgeschichte wäre die Wirklichkeit des Wortes - die Zweite Person - hinfällig gewesen. Und diese Wirklichkeit wird Gerhard Mercator als "die zweite [!]  und untergeordnete [!] Absicht des Schöpfers" im letzten Kapitel herausstellen.

Das 17.Kapitel Von der Erschaffung des Menschen und der obersten und hauptsächlichen Bestimmmung der Schöpfung ist das erste Kapitel, das 1607 ganz von der Römischen Inquisition moniert wurde: 6.diei deleatur totum - erst die Spanische Inquisition: möchte 1640 und noch 1667 das ganze erste Buch der Kosmographie Mercators (I.I & I.II, d.h. die Kosmographischen Gedanken in ihrer Gesamtheit) indiziert sehen.

Die Großartigkeit der Mercator'schen Schöpfungsinterpretation, ihr durchgehender Schöpfungsoptimimus, ihr "großer Glaube" sowie ihre "starke" Auslegung des göttlichen Sabbats bei der Frage nach der Herkunft der unsterblichen menschlichen Einzel-Seele (CD) müssen den klein-gläubigen Franziskaner Brasichellen, römischer Inquisitor, wahrlich zur Verzweiflung gebracht haben. Aber - so Mercator - :

Warum sollte der DreiEineGott in seiner weisen und so machtvollen Vorsehung dem Ziel all seiner Schöpfungswerke - dem Menschen - nicht die weiterzeugende Gnade und Kraft der vernunftbegabten Seele mitgegeben haben?

Warum denkt der Mensch so kleingläubig vom Schöpfer aller Dinge?

Warum kann und soll der Schöpfer - die Erste Person - am Siebten Tag der Schöpfung nicht wirklich von seinem Schöpfungswerk ausruhen?

Muß er stets - wie der hl. Thomas und mit ihm die sich tridentinisch-festlegende (schwach-reformierende) allgemeine Kirche lehren - die Einzel-Seele im Akt der Zeugung (jeweils neu) erschaffen, als dazwischentretende oder unmittelbare Ursache stets hinzukommen?

Ist es da nicht viel wunderbarer und der Größe des DreiEinenGottes angemessen zu glauben, daß er seinem Ebenbild nicht nur die gattungs- und arterhaltende Kraft - wie all seinen fortzeugenden Geschöpfen - , sondern auch die Fähigkeit eingepflanzt hat, die unsterbliche Seele unter Mitwirkung des Heiligen Geistes - der Dritten Person - weiterzugeben?


Wird das 18.Kapitel Der Sündenfall Adams auch im wesentlichen von der Inquisition nicht beanstandet, so gefällt dem Franziskaner Brasichellen aber keineswegs der Schlußgedanke zur Frage der Natur der Erbsünde: deleatur usque in finem.

Der Franziskaner sieht Gerhard Mercator hier weniger als Adept der augustinisch-orientierten Brüder vom gemeinsamen Leben, deren Erziehung in 's-Hertogenbosch augustinisches Denken tief in die Seele des jungen Mercator eingepflanzt haben mag, als vielmehr die ihn mit seinen Zeitgenossen Luther, Calvin und auch - wenngleich anders - Zwingli verbindende Radikalität seines Ansatzes von der Erbsünde als eines wirklichen Übels. Daß er sich aber dabei auf den hl. Paulus  und auf den hl. Augustinus beruft - d.h. berufen kann - sieht der Inquisitor nicht, - vermutlich will | kann er Mercators Position auch nicht "gut"heißen wegen der reformatorischen: Bewegungen des Zeitalters, die in diesem Denken durchschimmern.
Da Gerhard Mercator gerade über das unglückselige Geschehen im Paradies handelt, glaubt er den Leser noch auf etwas anderes aufmerksam machen zu müssen: "Was das Paradies betrifft, wo es lag und welches seine Flüsse waren, werde ich in der alten, neugestalteten Geographie darlegen" (de paradiso, vbi fuerit, & quae eius flumina, in veteri geographia restituta demonstrabo).

Ich habe 1994 darauf aufmerksam gemacht, daß schon in der Asia III - Karte der Ptolemäus-Ausgabe von 1578 die Lage des Paradieses (in  69°24'O|34°24'N gelegen) beschrieben ist. 

Mir scheint heute - anders als damals - aus dieser Texstelle nicht mehr schlüssig zu folgen , daß (mindestens) das Kapitel 18 vor der Herausgabe des Ptolemäus-Kartenwerkes geschrieben worden sein müßte, um diese Schlußbemerkung sinnvoll interpretieren zu können. 

Meine erst in den Jahren nach dem Mercator-Jahr 1994 erfolgte Analyse des Atlas-Stammbaumes hat mir dreierlei gezeigt:

(1) daß Walter Ghim, Gerhard Mercators Nachbar in Duisburg und ersten Biograph,  in dem Satz seiner Biographie
"... animum ad instaurandas et a mendis repurgandas Claudii Ptolemaii ... olim editas tabulas adiecit veteremque geographiam ad mentem autoris tanta diligentia restituit ac emendavit, ut ..."
[Nachdem er die Arbeiten an der Weltkarte von 1569 abgeschlossen hatte,] war er gesonnen, die einst herausgegebenen Karten des Claudius Ptolemäus von neuem herauszugeben, von Fehlern zu reinigen [1578],  und er fügte [ihnen] die alte 'Geographie' bei [1584], die er mit so großem Geschick im Sinne ihres Urhebers wiederhergestellt und von Fehlern befreit hat, daß ...
die beiden - getrennten - Editionen ineins setzt, wenn er im nächsten Satz sagt, daß Gerhard Mercator das mit so großer Mühe abgeschlossene Werk 1587 herausgebracht hätte: "Huic labori operique colophonem addidit atque imposuit anno 1587", und daß

(2) daß die "Geographie des Altertums" = "Die alte Geographie" nicht identisch ist mit der immer wieder apostrophierten "alten Geographie" des Ptolemäus, d.h.nicht nur aus den Karten des Jahres 1578 und den - hinzugefügten - 8 Büchern der Geographie des Ptolemäus des Jahres 1584 besteht, sondern ein inhaltlich über die Ausgaben von 1578 und 1584 hinausgehendes eigenes Buch der Kosmographie sein muß - wie schon im Entwurf der Chronologie angedeutet - und also auch in der Konzeption über die letzte Beschreibung der Familie durch Johannes Mercator [37] hinausgehend.

(3) daß der Autor (womöglich) bei der Abfassung des Schlußsatzes seinen Ptolemäus von 1578 mit seiner Asia III - Karte vor Augen gehabt hat und hinzufügte - wie er es schon manchmal praktiziert hat - , daß weitere Erklärungen in der kommenden Alten Geographie = Geographie des Altertums (II.II.2) zu erwarten sind. Ich bin allerdings nicht der Auffassung von Milz98 17, daß diese Stelle einen "Erzähler" = Atlas junior voraussetzt | erforderlich macht, denn da der Paradies-Satz - sit venia verbo - am Ende eines theologischen Traktats steht, scheint mir sein Vorkommen nur zu belegen - entgegen dem Interpretationsansatz von Milz98,17f. - daß er nicht auf einen "Stellvertreter" verweist | verweisen kann.



Das letzte Kapitel I.II.19 der Kosmographischen.Gedanken - in Gänze schon von der Römischen Inquisition gestrichen - spricht davon, daß der DreiEineGott - die Sünde des Menschen voraussehend (praeuidit) - "ein Mittel bestimmte, durch das der Mensch - frei von Sünde - in seinen früheren Stand zurückversetzt werde und durch das die erste Schöpfungsbestimmung [trotz des Sündenfalles der Stammeltern] Erfolg habe: Gott versprach, sein Sohn werde Fleisch annehmen, um für die Sünde Adams, durch die alle [Menschen] seit ihrer Erzeugung gefangen waren [und sind], zu sühnen und den Beistand des Heiligen Geistes wiederzuerlangen, damit jener [der Mensch, das Menschengeschlecht] durch dieses ihm gegebene Versprechen mit derselben Bestimmung wie vorher das ewige Leben erlange."
Die sich an Augustinus anschließende Erbsündenlehre Gerhard Mercators schien dem Inquisitor dann doch zu weit ab von der Lehre der universalen Kirche angesiedelt zu sein, als daß er sie hätte durchgehen lassen können: deleatur. Genaubesehen schimmert die Lehre der sich tridentinisch-definierenden Kirche von der Erbsünde -  peccatum originale = (nur) Mangel an Gnade - dennoch durch die Äußerungen Mercators hindurch: denn "durch [die hauptsächlichen Sakramente und] den Glauben  an Christus werden wir gegen sie gestärkt und durch den Beistand des Heiligen Geistes vor ihr bewahrt."

Die Meditationen Mercators enden mit dem großartigen Ruf des hl. Paulus, der "wegen seines Kampfes mit dem menschlichen Geist ausruft

Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem - durch die Sünde - dem Tod verfallenenen Leib retten? Ich danke meinem Gott durch Jesus Christus." (Röm 7,24-25a)
und Gerhard Mercator fügt - als Ausdruck seiner christlichen Gesinnung - hinzu:
"..., den der Vater als Erlöser gab, und durch den Geist, seinen Beistand, bis die Sünde im Tod der Fleisches völlig vernichtet wird."
Ipse teste, er selbst bezeugt es, und nicht sein alter ego, das gleichwohl als Symbol (als Ein-Wort-Metapher) ein großartiges Lebenswerk in sich zu fassen vermag.