Die Meditationen, d.s. die
Kosmographischen
Gedanken: Cosmographicae meditationes de fabrica mundi, zerfallen
in die beiden Bücher
I.I
= Prolegomenon fabricae mundi = Einführung
in die Beschaffenheit der Welt
und
I.II
= Fabricae mundi = Über die Beschaffenheit
der Welt
Obgleich beide Titel rein cosmopoeietische Untersuchungen anzeigen, halten
die Ausführungen nicht, was ihre Überschriften versprechen:
Die Kosmographischen Gedanken über
die Erschaffung der Welt - kurz: die Meditationen
- stellen sich uns im Folgenden als ein mixtum compositum von Analysen
und Interpretationen des göttlichen SiebenTageWerkes (= Gerhard
Mercators cosmopoeia = Hexaémeron)
und fundamentaltheologischen wie christologischen Ausführungen - opiniones
Christiano dignae - dar; denn
-
einerseits enthalten die Meditationen
die Ausarbeitung der kosmotheologischen Gedanken Gerhard
Mercators
-
d.i. die extensive Aufbereitung seiner 1559ff
in der Lateinschule Duisburgs vorgetragene cosmopoeia
= de mundi genesin ,
-
d.i. aber auch eine vertiefte Darstellung seiner Kosmotheologie
von 1573, wie er sie uns im 1.Vivianus-Brief
hinterlassen hat ,
-
andererseits legt er uns in den Meditationen
seine fundamentaltheologischen sowie seine vorsehungs- und
erlösungstheologischen
Gedanken im Anschluß an den hl. Paulus dar: d.h.
er äußert sich in den Meditationen
zu den Theologischen Loci De sancta Trinitate, De providentia
und De redemptione - einer Dreiheit theologischer Probleme, die
ihn von jugendauf in unterschiedlichem Umfange beschäftigt haben.
Mit einer Behandlung des locus De redemptione finden seine
Meditationen
ihren
Abschluß (I.II.19).
Insgesamt lassen sich die Meditationen
als das herausstellen, was Erasmus von Rotterdam als "Meinungen
- eines Christen würdig -" als Teil einer umfassenden "Philosophie
Christi" bezeichnet hat:
Wir finden in ihnen
sowohl - an geeigneter Stelle - eigentlich-kosmographische
=
cosmopoeietische Äußerungen
als auch - an geeigneter Stelle - providential-, redemptorisch-
wie fundamentaltheologische Aussagen des Christen Gerhard Mercator.
Mögen etliche seiner theologischen Äußerungen der Inquisition
des 16./17.Jahrhunderts zu tilgen würdig erschienen sein: Der Selbständigkeit
einer theologischen Ansätze sollten wir auch heute noch unsere Achtung
nicht versagen, - selbst wenn sie nur einer Übergangszeit im Wissen,
in den Wissenschaften und ihren Methoden zuzuschreiben sind.
-
Um es hier nur auf einen Punkt zu bringen: Nicht nur Divus Thomas
konnte es in seiner Theologischen Summe
formulieren, auch aus dem Pontificum Institutum Internationale "Angelicum"
heraus
beanstandete noch 1944 niemand den
Satz "Probabilius creati sunt [Angeli]
in
caelo empyreo".
Die Struktur des ersten Buches der Mercatorsche "Kosmographie" -
aufgeteilt in I.I=
"Vorwort" und I.II
= "Haupteil" - macht schon in und mit I.I
deutlich, daß in ihm kein schlichtes
Hexaémeron, keine
einfache
enarratio, Aufzählung, Erläuterung, eingehende
Texterklärung oder dgl. vorliegt. Wie mit Pico della Mirandolas
Heptaplus
de septiformi [in sieben Kapiteln]
sex dierum Geneseos enarratione
liegt in den Meditationen
eher ein auslegendes Kommentarwerk vor, das den Text Gen
1.1-31,
2.1-3
zwar immer wieder heranzieht, aber mehr sagen will, als im Text des Moses
enthalten ist:
"Dies nämlich beabsichtigen wir,
indem wir über die Kosmographie berichten, damit aus aus der wunderbaren
Harmonie aller Dinge auf das eine Ziel Gottes hin und aus der unerforschlichen
Vorausschau im Aufbau die unendliche Weisheit Gottes und seine unerschöpfliche
Güte begriffen werden können, damit wir zu seiner verehrungswürdigen
Majestät, seiner anbetungswürdigen, hochzuschätzenden reichen
Güte auf ewig erhoben werden."
Schon hier (I.I.1)
ist - von der Mercatorforschung der letzten 130 Jahre im wesentlichen unbeachtet
- der Bogen angesetzt, der bis in die Kapitel
I.II.17-19
hineinreicht und die theologische Konzeption
Gerhard Mercators -
zumindest - in seinen Kosmographischen Gedanken
ausmacht:
praescientia (Vorherwissen)
und providentia (Vorhersehung) des
DreiEinenGottes - auf der Folie der neuplatonischen Gotteslehre (I.I.2)
in I.I.3
porträtiert - reichen vom IM ANFANG der Schöpfung bis zur Inkarnation
des Gottessohnes und seines Erlösungswerkes (redemptio) mit dem Verweis
auf die kommende Wiedergeburt der ächzenden und stöhnenden in
Adam
gefallenen Schöpfung (Paulus) in die letzten Kapitel hinein.
Anders als bei Pico -
Heptaplus III.7:
Die Menschwerdung ist schon immer auf die Menschwerdung des Gottessohnes
hingeordnet gewesen. Und Christus mußte, um den seit der Schöpfung
im Menschen verborgen liegenden Wesenszug, sich über die Engel zu
erheben, einzulösen, notwendig Mensch werden. (Vgl.H.Reinhardt:
Freiheit
zu Gott, Weinheim 1989.)
entgeht Gerhard Mercator einerseits der 'Überheblichkeit',
in der Erlösung durch den Gottessohn den Menschen über die Engel
hinauszuheben, was Pico dem (Subordinatianismus-)Verdacht aussetzt,
die Inkarnation - die Menschwerdung Gottes - der Schöpfung generisch
zu subsumieren, unterzuordnen , weil er mit Moses Maimonides, den
er mehrfach zitiert und auslegt, nicht den Menschen, sondern die Engel
als den Endzweck der Schöpfung anzusehen bereit ist: "non
quia homo sit angelus, sed quia angelici sunt mundi finis et terminus".
dadurch, daß er
(a) die unsterbliche Seele des Menschen aus dem 'überhimmlischen
Gewässer' erzeugt sein läßt (vgl. meinen Aufsatz über
den Traduzianismus [CD] ) - aus dem auch die Engel geschaffen wurden (I.II.9)
- , "um darin den Engeln gleich zu sein",
und andererseits ist ihm
(b) die Erschaffung des Menschen - nicht der Engel - die erste, oberste
und hauptsächliche Bestimmung der Schöpfung (I.II.17),
deren zweite - und insofern der ersten nach- oder untergeordnet - aber
(c) aus der Vorsehung des Schöpfers herrührt, den von ihm
von Ewigkeit her erkannten Sturz des Menschen = Adam in der Menschwerdung
seines Sohnes aufzuheben, "damit darin - auf
jeden Fall - die erste Schöpfungsbestimmung
Erfolg habe: ... Auf Grund seines Vorherwissens
(praescientia) vollendete Gott in seiner bewunderungswürdigen
Vorsehung (providentia) die Schöpfung
aller Dinge derart, daß er dem Menschen - im Stand des Gehorsams
ebenso wie in dem des Falles - die Möglichkeit bewahrte, das ewige
Leben zu erlangen."
Mehr darüber in den Anmerkungen und Erklärungen zu den
einzelnen Meditationen40
(CD).
|
I.I
= Prolegomenon fabricae mundi
In den Einführenden Meditationen-
dem prolegomenon fabricae mundi (Buch
I.I.1-3)
- erklärt Gerhard Mercator nicht nur
-
die Absicht seiner Kosmographie überhaupt (I.I.1:
Intentio
totius cosmographiae),
über eine Auslegung des Schöpfungswerkes Gottes Ruhm zu vermitteln
- er spricht von drei Zielen der Schöpfung:
1. Gottes Ruhm zu vermitteln,
2. die Erschaffung des Menschen und
3. die kunstvolle Erschaffung der Welt im Ganzen.
Der "obersten und hauptsächlichen Bestimmung
der Schöpfung" widmet er das Kapitel
I.II.17,
das in Gänze von der Inquisition beanstandet wird.
Er eröffnet auch
-
das dogmatische Gespräch - gewissermaßen: contra
gentiles - über die Grundlagen der Philosophie
Christi mit einer Darstellung der philosophischen Gotteslehre der
Schule der (Neu-)Platoniker (I.I.2:
De
Deo omnium principio et effectore secundum Platonicos), die
als Reflex eine Anmerkung - nach Irenäus - zur "albernen"
Gnostik des
Valentinus enthält,
um in I.I.3Vera
de Deo eiusque Trinitate, ex scripturae adytis confessio sofort
- gewissermaßen auf dem gerade darsgestellten Vor-Entwurf
der neuplatonischen Philosophie -
in einer fundamentaltheologischen Darstellung "ein
wahres Bekenntnis" zum
DreiEinenGott der Christen abzugeben:
"vera de Deo eiusque Trinitate", - wobei die
Quellenangabe :"ex scripturae adytis confessio":
deutlich macht, daß dieses Bekenntnis nicht von einem "spekulierenden"
Heiden - dem völlig un-theologisch in die Kosmographie einführenden
Atlas
junior - abgegeben werden kann:
Zum Theologischen Locus De Trinitate vermag sich nur
ein des
AT und NT "mächtiger", d.h. gläubiger Christ
zu äußern:
"Das Wort 'Gott' stellt uns einen in drei Personen
unterschiedenen Gott vor ... Daß diese Personen als
eine Einheit erscheinen, bedeutet aber nicht, daß sie so eines Wesens
sind, wie der Mensch eines Wesens mit Menschen ist. Die göttlichen
Personen sind der Zahl nach eines Wesens, untrennbar voneinander... Das
ganze verborgene Wesen des Vaters - das gleichsam durch das ewige Entstehen
in den Logos hinausstrahlt [ein Bild, das
Gerhard
Mercator von Basilius von Caesarea übernommen hat],
so daß der Logos das leuchtende Gespräge und das ausgedrückte
Wesen des Vaters in derselben Wesenheit ist - leuchtet vom Vater durch
den Logos in die ganze Welt. Dieser Glanz erscheint als der Heilige Geist
... In den Vater legen wir gleichsam den realen Keim, in den Sohn die vegetative
Kraft und in den Heiligen Geist die hervorbringende und ermutigende kraft,
die - mit dem Sohn aus dem Vater hervorgehend und durch den Sohn herausgeströmt
- ins Werk fortschreitet."
Von der trinitarischen Struktur des Schöpfers
und seines Schöpfungswerkes handeln I.II.2-4..
I.II
= Fabricae mundi
I.II.1De
sapientia Creatoris enthält vier unterschiedliche Gedankengänge:
(1) Im Anschluß an den Psalm 104,24
ist von der Weisheit Gottes die Rede: Es ist die Weisheit Gottes,
aus der sich alles IM ANFANG | AUS DEM ANFANG herleitet.
Es gibt daher für einen, der sich durch eine Darstellung des Schöpfungsganzen
- eine Kosmographie - auszeichnen will, nichts besseres, als das
Werk - von Moses unter der Eingebung des Heiligen Geistes
aufgeschrieben - zu erforschen und mit allen Kräften
des Geistes zu ergründen.
(2) Diese Erforschung hat sich im wesentlichen auf die aus dem IM
ANFANG herrührenden Relationen von Ursachen und Wirkungen einzulassen.
Als - von Aristoteles schon in seiner Physik
begründeten - Grundsätze sind dabei festzuhalten:
daß Ursachen gleichartige Wirkungen herbeiführen,
daß alles Schwere abwärts getragen wird,
daß alles Leichte nach oben getragen wird.
Aus den beiden letzten Sätzen ist dabei der - für die kommenden
Erklärungen - wichtige Schluß zu ziehen,
daß das Feinere aus dem Gröberen verdunstet, "woraus
hervorgeht, daß sich das Schwere im Mittelpunkt [des
Geschaffenen] sammelt."
Weiterhin ist davon auszugehen:
daß die Welt kugelförmig ist
- eine Ableitung der Kugelförmigkeit des Weltlalls finden
wir in der Meditation I.II.3
= Das Chaos ... - ,
daß alle Teile der Welt nach Feinheits- und Vortrefflichkeitsgraden
geordnet sind.
Darüberhinaus gilt es, die Wunderwerke der himmlischen Körper,
ihre Lage und Natur offenzulegen, die bis jetzt weder hinreichend erforscht
noch untersucht worden sind: "sic mira pandantur
in caelestium corporum situ & natura, quae hactenus non satis inquisita
nec explorata fuerunt",
(3) daher vermißt Gerhard Mercator noch vieles in den Grundlehren
der gegenwärtigen Wissenschaft: z.B.
eine adäquate Theorie über Ebbe und Flut
sichere Vorstellungen über die bewunderungswürdigen Meeresströmungen,
insbesonders aber hinreichende Kenntnisse über ihre Ursachen,
ausführliche(re) Untersuchungen über die Kunst des Navigierens
- die frühen Untersuchungen seines Freundes John Dee
darüber sind ihm wohl nie bekannt geworden -
es gebricht an einer Vollendung der Geographie: es fehlen gute Landkarten,
"den
mit Augen versehenen Zeugen ganzer Herrschaftsverhältnisse und Länder".
(4) Dieser fehlende Abschluß der Geographie - als Kartierung des
Erdenrunds - veranlaßt Gerhard Mercator zu den I.II.1
abschließenden
Bemerkungen :
-
"Vor einigen Jahren habe ich dieses Werk
[die Neuere Geographie] mit
denjenigen Gebieten begonnen, nach denen ... großes Verlangen [bestand
und noch] besteht, [das waren (!1585)
| das sind die Karten von Frankreich, Belgien (die Niederlande) und Deutschland]
ego
ante annos aliquot huius operis initium
feci ..."
Daraus ziehe ich noch heute - wie 1993
- den Schluß, daß I.II.1
nach
1585
geschrieben worden ist.
Genauer:
Indem er schreibt:
"ich
lege jetzt (?Juni 1593)
von
diesem Werk [der
Neueren
Geographie in Mercators Sinne]
... die nördlichen und sarmatischen Landkarten vor", ist festgestellt,
daß I.II.1
erst kurz nach Abschluß der dritten Teillieferung geschrieben worden
ist. Der Öffentlichkeit zugänglich wurde es erst ein halbes Jahr
nach Gerhard Mercators Dahinscheiden im Dezember
1594: "quibus
nunc Septentrionalium
ac Sarmaticarum tabularum primum nostrae Geographiae tomum
propono
..."
Festzuhalten aber ist auch:
-
In beiden Fällen spricht der Autor (der Auctor=der Urheber
des Kartenwerkes) selbst, nicht ein vortragender "Stellvertreter".
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