6 Kosmographie
Bis in das 15. Jahrhundert titelte das Wort 'Cosmographia' die Lehre
vom Entwurf eines Bildes der Erde bzw. das Bild der Erde (selbst) im weitesten
Sinne von "bewohnter Welt" = Ökumene = o'ikoume´nh
= bewohntes/bebautes Land = die ganze (von Griechen) bewohnte Erde. In
seiner acht Bücher umfassenden Anleitung
zur Erdbeschreibung behandelt Claudius Ptolemäus
den Entwurf von Erdkarten und gibt aus den verloren gegangenen Schriften
des Marinus von Tyrus und seinen eigenen Sammlungen seine geographischen
Tabellen heraus, die mehr als 8000 Orte der damals bekannten Welt ihrer
Lage (l|j) nach anführen. Die später
bekanntgewordenen Karten des Ptolemäus sind mit großer
Wahrscheinlichkeit erst hundert Jahre nach ihm entstanden.
.
Lange schon vor dem Zeitpunkt, da die Kosmographie
= Anleitung ... des Ptolemäus
zu Beginn des 15. Jahrhunderts wiederentdeckt worden war, hatte ein Wandel
in der Betrachtung der - inzwischen weitgehend 'christlichen' - "Welt"
eingesetzt. Hatte Ptolemäus selbst - wie seine Vorgänger
- noch keinen Unterschied zwischen "Geographie" und "Kosmographie" gemacht
- für ihn handelte es sich um Synonyma - , so wurden im Laufe des
Jahrhunderts nach dem Auffinden eines Manuskripts der Kosmographie
des Ptolemäus - angereichert um die Karten des ?Agathodaimon
von Alexandria - Unterscheidungen wirksam: Johannes Werner (Vernerus27,
1468-1528,
Joannis
Verneris Nurembergensis recens interpretamentum in primum librum Geographicae
Cl. Ptolemaei, Nürnberg 1514) benutzt
hier - in seinen Annotationes
- als einer der ersten28
anstelle des Wortes "cosmographia" das Wort "geographia" und sagt, daß
die Hauptaufgabe der "messenden Geographie" die Bestimmung der Entfernung
je zweier Orte der Erde sei: huius autem inspectionis
atque traditionis historia duplex est: geometria una : altera meteoroscopia.
Ortslängen mißt er vom Meridian der Glückseligen Inseln
aus. Ptolemäus selbst hatte schon die Geographie
von der Chorographie zu unterschieden: "Die
Geographie ist die Nachbildung des gesamten bekanntes Teiles der Erde mittels
Zeichnung [vergleichbar z.B. mit dem Haupt
des Menschen]. ... Sie ist verschieden von
der Chorographie, weil diese die Teilgebiete [der Erde mit all ihren
Einzelheiten] getrennt aufnimmt [vergleichbar
mit dem Auge oder dem Ohr des Hauptes].",
I,1,1.
Peter Apian nimmt die Unterscheidung Werners auf (Vernero
dicente) und bezeichnet die Chorographie des Ptolemäus
als "Topographie". Von beiden spaltet Apian den Teil des ersten
Buches der Geographie des Ptolemäus
ab, der die (bei Ptolemäus: wenigen) astronomischen Grundlagen
der Erdbeschreibungskunst (geographica disciplina)
umfaßt; diesen bezeichnet er dann als "cosmographia":
diese soll den erdbezogenen Teil der Astronomie / Astrologie zum Inhalt
haben. Mit der Kosmographie
des Peter Apian ist Gerhard Mercator gewiß schon früh
bekannt geworden: Im Februar
1529 hatte Gemma Frisius
in
Antwerpen die Cosmographiae introductio
cum quibusdam Geometriae et Astronomiae principijs ad rem necessarijs,
Ingolstadt 1524,
des Peter Apian als Cosmographicus
liber Petri Apiani mathematici, studiose correctus, et erroribus vindicatus
(per gemmam Phrysium) als kaum Einundzwanzigjähriger
herausgegeben. Das Büchlein hatte großen Erfolg und wurde in
diesen Jahren mehrfach aufgelegt - teils um weitere Arbeiten Gemmas
vermehrt. Gerhard Mercator mag sich bei seinem Aufenthalt in Antwerpen
1532/33/34
mit den Inhalten der Apian-Gemma-Kosmographie vertraut gemacht
haben: denn zurückgekehrt nach Löwen, war er entschlossen, Kosmograph
- wereldbeschrijver
- zu werden.
Eine Kosmographie - in diesem Sinne - zu schreiben, schien eine
Aufgabe der Besten der Zeit zu werden.
Den Besten der Zeit nachzueifern, befleißigte sich Gerhard
Mercator schon sehr früh: Die Palästina-Karte
(1537), die Kleine
Erdkarte (1538), die
Flandern-Karte
(1540), der Erdglobus
(1541), der Himmelsglobus
(1551), die noch in Löwen beginnenden
Arbeiten an der Europa-Karte (1554),
die Britannien-Karte (1564)
und last not least die Weltkarte
ad usum navigantium
(1569) sind beredte Belege seines Eifers;
und die im Jahre der Weltkarte herausgegebene
Chronologie
erweist sich als erster großer literarischer
Ausweis29 seiner unermüdlichen Lernbegierigkeit und
seiner profunden Belesenheit. Diese Darstellung der Geschichte des Menschen
vom Beginn der Schöpfung an (bis dato) läßt ihn dann auch
einen ersten Blick auf seine kommende Kosmographie,
die ganz andere Kosmographie (6,14,36,38,40)
seines Jahrhunderts werfen.
.
Im Jahre 1575 brachte er diesen
- seinen steten - Lebensantrieb in einem Briefe an Abraham Ortelius
auf
einen abschließenden Nenner:
Suprema mundi optima
Nur die größte Leistung ist das Beste [in] der Welt.
Indem sich Gerhard Mercator dieser Aufgabe stellt, denkt
er in der Ausgestaltung seiner Kosmographie universeller, umgreifender
als seine Vorbilder vorzugehen. Die große Kosmographie30
des ehemaligen Fransziskaners Sebastian Münster (1489-1552):
Cosmographia
universalis, 1544 - in immer
erneuten Auflage bis 1628 fortgeführt
und erweitert, wies ihm dabei gewiß die "richtige" Richtung, aber
anders sollte sie doch schon werden:
Eine Kosmographie in seinem Sinne müßte nicht nur
eine Beschreibung der Erde - eine 'Geo'graphie im weiteren Sinne als kartierte
Darstellung der Erde - und eine Beschreibung des Weltalls, eine 'Kosmo'graphie
- eine Astronomie des Welt- und Sternenalls - bieten, sondern sowohl eine
Geschichte
der Schöpfung als auch eine Geschichte des Menschengeschlechts
ab
ovo, d.h. vom Anfang der Geschichte Gottes mit Adam - dem Menschen
- bis auf den Tag sein -
-
einbeschlossen eine rechtfertigende Darstellung der vera
philosophia Christi, der wahren Philosophie
Christi,
-
einbeschlossen eine christliche Lehre von der Vorsehung
Gottes, des DreiEinen Gottes der Christen und der gnadenhaften Rechtfertigung
der in Adam sündigen Menschheit.
Augustinus hatte diesem Denken mit seiner Lehre von den beiden Arten
der Historie:
-
der Geschichte des Gottesstaates - darüber hatte Augustinus
ja selber schon geschrieben - und
-
der Geschichte vom Menschenstaat
schon lange Vorschub geleistet.
Was liegt näher als die Annahme, daß der junge Gerhard
in 's-Hertogenbosch im Kreise der Brüder vom gemeinsamen Leben
- von den Augustiner-Chorherren geprägt - umfangreiche Kenntnis
vom Denken des heiligen Augustinus erworben hat.
Die Differenzierungen seines Lebens 1534ff
lassen dann auch die Aufnahme seiner kosmographischen Gedanken im Blick
auf den späteren Aufbau seiner Kosmographie in der Chronologie
verstehen (im folgenden zitiere ich nur aus der Chronologie32):
-
die Anerkennung und das Einkommen, die ihm sein Globen- und Kartenwerk
bis
1554 (Europa-Karte)
bringen, setzen ihn offenbar frei für sein literarisch-historisches
Forschen und das führt ihm die Bedeutung des astronomischen Fakten-
wie Theoriewissens als Korrekturfaktor der "allgemeinen Geschichte" vor
Augen:
-
Er liest Plinius (Basel 1539)
und Plutarch, (Basel 1554);
er besitzt den Almagest des Ptolemäus
(Basel 1541), kennt das Werk des al-Battani
über die Astronomie des Aratos und exzerpiert Macrobius
und Vitruv. Er besitzt die Alfonsischen
Tafeln (Paris 1537).
-
Spätestens33 (Basel)
1559
"begegnet" ihm Diodorus Siculus; vorher schon Eusebius mit
seinen opera (Basel 1549);
er kennt Tertullian.
-
Er liest die Revolutionen des Copernicus
(Nürnberg 1543) und kennt Regiomontans
Abhandlung
über das Türkengerät (Nürnberg 1544).
Für die Geschichte der Kosmographie Mercators aber viel entscheidender
ist, daß er seinen Schülern 1559ff.
in der Lateinschule Duisburgs erste Konzepte seiner kosmographischen
Vorstellungen vermittelt: Bartholomäus behandelt in
den von ihm 1563 herausgegebenen Konzepten
des Vaters (Breves in sphaeram ...)
"methodum
& isagogen34",
was für eine Einführung "in vniuersam Cosmographiam"
- in eine universale Kosmographie -erforderlich
ist.
Unter dem, was Gerhard Mercator
für (s)eine "universale Kosmographie" schon damals für notwendig
gehalten hat, finden wir eine Narratio breuis
Cosmopoeiae35,
einen kurzen Bericht über die Schöpfung der Welt, die allerdings
noch keine Hinweise auf die vom Vater noch einzubringenden theologischen
Fragestellungen gibt:
Es ist schließlich allein die in
32 Jahren bearbeitete bzw. 20 Jahren ausgearbeitete
1573
in den Grenzen und Fragmenten des 1.Vivianus-Briefes um kosmosontologische
Gedanken erweiterte
Cosmopoeia,
bis 1593
vermehrt um seine tieflotenden theologischen
Vorstellungen von der Vorsehung Gottes und der Lehre von Rechtfertigung,
die weit über ein (klassisches) Hexaëmeron, d.i. eine
christliche
cosmopoeia,
hinausgehen,
die er als tomus
I liber 1 seiner Kosmographie - ipse
teste - im Juni des Jahres 1593
als abgeschlossen erachtet.
Zwei Überlegungen scheinen mir bedeutsam zu
sein:
-
Der Christ Gerhard Mercator scheint
im Fortschreiten und Verfestigen seiner religiösen Überzeugungen
erkannt zu haben,
offenbar hat er immer wieder - wenn nicht gar:
forwährend - an (s)einer Vorsehungs- und Rechtfertigungslehre
auf der Linie des Römerbriefes nach Paulus gearbeitet
daß sein cosmopoeietisches
Denken notwendigerweise in die
Geschichte
Gottes mit dem Menschen einzubetten ist: Anders ist die in der Ent-Wicklung
der IM ANFANG der Schöpfung erkennbaren Vorsehung Gottes (providentia
Dei), der eine Rechtfertigung (redemptio)
Adams in der Fleischwerdung seines Sohnes - wie die deutschen Reformatoren
sagen: vertraglich (foederaliter)
- vor-sieht, unbegreiflich, unbegreifbar.
-
Vom ersten Kapitel seiner späteren Kosmographischen
Gedanken (tom.I lib.I cap.I.1)
an bis zu ihrem Ende (tom.I lib.I cap.II.19) unterlegt sich ein
Gedanke in aller Deutlichkeit den Kosmographischen
Gedanken = Meditationen:
Die Schöpfung ist gut,
das Motto, das schon 1548/49
den ausführlichen Gesprächen mit seinem jungen Freund John
Dee zugrunde liegt,
das Motto, das er schon 1563
seinen Sohn Bartholomäus als eine Weisheit für die Schule
protokollieren läßt: & vidit
Deus quod esset bonum - & Gott sah,
daß alles, was er geschaffen hat, gut sei,
das Motto, das seinem typus universi 1573
(VIVIANUS I) zum Grunde liegt:
Schöpfungsoptismus
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