5Entwicklungen
.
Walter Ghim (Spalte 6) erinnert in der Biographie
1595
zunächst
die Widmung des Jahres 1585 (Gallia:
Spalte
3) an den "edelsten und erlauchtesten
Fürsten Johann Wilhelm, unseren gegenwärtigen gnädigsten
Herzog":
"Exigebat operis distributio et ordo,
ut primum de mundi fabrica et distributione partium in universum,
deinde coelestium corporum ordine et motu, tertio de eorundem natura, radatione
et operantium conflexu ad veriorem astrologiam inquirendam, quarto
de elementis, quinto de regnorum et totius terrae descriptione, sexto de
principum a condito mundo genealogiis ad emigrationes gentium ...",
Die Einteilung und Ordnung des Werkes erforderte, daß ich zuerst
die Erschaffung der Welt und die Ordnung ihrer Teile behandelte, danach
die Anordnung und die Bewegung der Gestirne, im dritten Teil dann die Natur
der Gestirne, ihre Strahlungskraft und das Einströmen ihrer
Wirkungen [in das Elementarische, das Niedere: das alles hat offenbar den
Stoff für die vielen Gespräche während der Besuche des John
Dee in Löwen abgegeben], um nach einer richtigeren [als zur Zeit
üblichen] Astrologie Ausschau zu halten, im vierten über
die Elemente, im fünften über die Beschreibung der Reiche und
der ganzen Welt, im sechsten [schließlich] über die Genealogien
seit Beginn der Welt, um die Wanderungen der Völker ... zu erforschen.
Diese (dritte) Projekt-Beschreibung, in der Gerhard Mercator anzeigt,
daß er einiges vom ersten Buch schon in Arbeit hatte (exigebat),
änderte Gerhard Mercator in der Fortschreibung seiner Kosmographischen
Gedanken noch zweimal: Walter Ghim notiert nach dem (gerade
angeführten) Zitat aus dem Widmungsbrief:
"Hactenus ille",
soweit jener [Brief].
"Huic operi titulum imposuit: Atlas, sive
cosmographicae speculationes libri quinque": Diesem Werk
gab er den Namen
Atlas, d.i. Fünf [!] Bücher kosmographischer
Betrachtungen.
"In primo descripsit opificium ac fabricam
mundi, quem etiam durante paralysi sinistri brachii pro fallendo tempore
absolvit, eundemque partum prae ceteris tota vita ipso teste parturivit",
im ersten Buche beschrieb er die Erschaffung und den Bau der Welt;
-
dieses "erste" Buch liegt dann auch 1593
als einziges abgeschlossen18
vor:
Kosmographische Gedanken ...
dieses Buch brachte er in der Zeit (auch während) der Lähmung
seines linken Armes [1590ff] zu Ende,
um die Zeit nicht unerfüllt zu lassen; und ebendiese [Gedanken-]Frucht
zog er nach seinem eigenem Zeugnis allen anderen vor, die er während
seines ganzen Lebens hervorgebracht hatte.
-
die Lähmung befiel ihn am 5.Mai 1590.
Reinhard
Solenander versuchte sein Bestes: aber sowohl Ghim als auch
Mercator
- dieser in tiefer Niedergeschlagenheit - schreiben, daß ein "glücklicherer
Erfolg ausblieb" "zum
Schaden meiner Studien und zum Schmerze meiner Seele".
"In secundo astronomica
prosequi inceperat, sed non finivit",
Im zweiten Buche hatte er angefangen, sich über Astronomisches
auszulassen, war aber zu keinem Abschluß gekommen.
-
Astronomica - nicht Astronomia - ist der Titel des Manilius-Gedichts,
das sich teilweise als Übersetzung des Aratos in lateinische
Gedichtform liest. Es wurde zusammen mit der Aratea
des Germanicus 1474 zum ersten
Mal gedruckt.
"in tertio astrologica
explicaturus erat".
Im dritten Buche wollte er Astrologisches in gehöriger
Breite behandeln.
Wie sich Gerhard Mercator einige Themen der Astronomie
und Astrologie zurechtgelegt hatte, kann man dem zweiten Teil des Briefes
an Heinrich von Rantzau vom 31. Mai
1585 entnehmen. Zur Astrologie vergleiche man die Abhandlung
Die
Astrologie im Umfeld Gerhard Mercators.(CD)
"In quarto
de creatione elementorum, de motu solis et lunae, item de situ et ordine
planetarum tractatum meditabatur".
Mit dem vierten Buche dachte er eine Abhandlung über die
Schaffung der Elemente zu liefern, über die Bewegung20
der Sonne und des Mondes, wie über die Stellung und die Ordnung der
Planeten.
"Quintum Geographiae
totius terrarum orbis destinaverat, si illi vitae spatium concessem fuisset".
Das fünfte Buch hatte für die
(?theoretische) Geographie des gesamten Erdenrunds vorgesehen - wäre
ihm in seinem Leben dafür noch Zeit geblieben.
-
Man sieht, daß sich dieser Vortrag bei Johannes Mercator (20,
26) wiederholt.
Wenn im Epitaph21in
der Salvator-Kirche zu Duisburg seine Hinterbliebenen auf den Atlas
der Mythen verweisen lassen, um die Bedeutung des Verblichenen in zeitgenössisch-humanistisch-hochlobender
Weise herauszustellen:
.
AD LECTOREM
Quisquis ades frustra metius ne forte sepulto
Sit MERCATORI tantula terra gravis:
Omnis terra viro levis ets qui tota quod usquam22
Terrarum est humeris pondera gessit ATLAS.
.
An den Leser (dieses Distichons)
Wer Du auch immer seiest, der Du hierher gekommen,
Du befürchtest zu Unrecht,
daß dem (zufällig) hier beerdigten
MERCATOR
so wenig Erde eine Last sei:
die ganze Erde ist leicht für einen Mann,
der die gesamte Last der Erde wie ein Atlas
auf seinen Schultern getragen hat.
.
dann zeigt sich darin, daß die FamilieiMercator
den Verblichenen in seinem letzten literarischen Vermächtnis nur unvollständig
verstanden hat.
Ich denke, es ist rechtens anzunehmen,
daß Rumold den Formulierungen auf der Schiefertafel des Epitaphs
zugestimmt hat - leitete er doch gewiß bis zu seinem frühen
Tode (1599)
in verantwortender Weise die Geschicke der Familie.
- Der Vierzeiler läßt sich ohne weiteres
in die Nähe der Distichen rücken, die Iohannes
Metellus23 als Nachruf auf den Verstorbenen für
das Atlas-Werk
verfaßt hat. -
Für das weitere Miß-Verständniss
scheint Johannes Mercator24
verantwortlich zu zeichnen, der älteste Sohn Arnolds und wohl
der begabteste Enkel Gerhard Mercators.
Die Distichen25
im
Atlas-Werk,
die der Lebensbeschreibung Walter Ghims folgen, wie die Distichen,
die dem Brief des Jacobus Sinstedius folgen, stammen aus seiner
Feder.
In seinem Hymnus übernimmt er dabei nicht die
Vorgaben seines Großvaters aus der Praefatio
in Atlantem - obwohl sich das Distichon
wie ein hymnisches Exzerpt der Praefatio
des Großvaters liest - , denn er läßt In
Atlantem Gerardi Mercatoris Avi sui
im fünften Distichon Atlas die leuchtenden Sterne zusammenhalten:
.
"Hic ille, ut perhibent, stellis ardentibus
aptum
Axem humoro torsit, qui geminumque polum"
Wie man erzählt, hält er die leuchtenden Sterne beisammen;
die Weltachse dreht er mit starken Arm um ihre beiden Pole ...
- die Atlas-Mythen vermischen sich:
Atlas trägt die Erde
auf seinen Schultern (Epitaph),
Atlas hält die
Spindel des
Weltalls, damit die Erde ruhe (In Atlantem).
In den beschließenden
Distichen26 führt er das tiefe Vertrauen seines Großvaters
in die Heilige Schrift an und beschreibt das Atlas-Projekt
nach der Formulierung der "letzten Hand":
Zu allererst war das Lob auf den Schöpfer
anzustimmen (13),
danach war die Astronomie aufzustellen
(20),
darauf die Astrologie (26),
welche sich über die wirkenden Kräfte der Gestirne zu verbreiten
hat, insofern sie mit ihren Strahlungen alles Niedere beherrschen.
Nach diesen Darstellungen wollte sich der Großvater
- so Johannes - mit dem bewirkenden Ursachen der Elemente
(31) beschäftigen, insofern diese das
Gerüst der gesamten Welt bestimmen - wäre er dazu noch in der
Lage gewesen.
Am Ende wäre dann noch die Alte wie
die Neue Geographie (37) hinzuzufügen
gewesen - aber Krankheit und Tod wußten vieles zu verhindern.
Dem fünften Buche hatte er die Geographie der ganzen Welt vorbehalten,
wenn ihm noch Lebenszeit beschieden gewesen wäre. 33
Geographia
mundi - ein Pleonasmus, den ich im Sinne von 32
verstehen möchte:
"de
totius terrae descriptione" = er wollte
offenbar eine "theoretische" Geographie liefern, eine Theorie der Art und
Weise, wie ein Kartograph zu einer "Beschreibung" der Welt - d.s. die Kartenentwürfe
- kommt. Offenbar kursierte diese Projektbeschreibung in der Familie
Mercator als Ausgabe "letzter Hand". Und es bleibt eine offene Frage,
warum Rumold bzw. Johannes die Praefatio
in Atlantem ?nicht ernst genommen haben.
Noch heute aber wird in der Forschung der Titel von 1595
Atlas
sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura
nicht als eine "Notlösung"
Rumolds für die (schnellen)
Publikationen des Jahres 1595 verstanden,
- kaum ein halbes Jahr nach dem Tode des Vaters.
NOCH EINMAL: Hätte die Familie oder auch nur Rumold
die Gesamtkonzeption des Vaters verstanden, man hätte den Titel weitgreifender
fassen müssen - etwa so :
ATLAS |
sive |
PARS PRIMA: cosmographicae speculationis libri quinque |
continens cosmographicae meditationes |
liber 1: de fabrica mundi - hexaëmeron = cosmopoeia - &
opiniones Christiano dignae |
liber 2: de astronomia |
liber 3: de astromantica |
liber 4: de elementis |
liber 5: de totius terrae descriptionis |
ET |
PARS SECUNDA vel ALTERA: de fabricati figura |
continens |
liber 1: Geographia nova: partes 1,2,3 - recentior terrarum
et regnorum pictura |
liber 2: Geographia vetus |
continens |
pars 1: Ptolemei
tabulae ad illius mentem restitutae |
pars
2: Geographia vetus castigata et ampliata |
liber 3: Genealogicon - de regnorum descriptione |
liber 4: Chronologia |
Aus der Praefatio läßt
sich ableiten, daß der alleinige Bezug des Atlas-Titels
auf die cosmographicae speculationis liber quinque
- so Walter Ghim in der Vita
- zu kurz greift:
Atlas junior sollte - dem Konzept nach - die gesamte
Kosmographie
Gerhard
Mercators titeln und nicht nur die cosmographicae
meditationes, die im Grunde ein mixtum compositum von christlicher
Weltschöpfungslehre nach GEN 1 und Vorsehungs- wie Rechtfertigungstheologie
- im wesentlichen - nach der Lehre des Hl. Paulus vor uns hin stellen.
Atlas junior ist also - mit Widerspruch zur "Konzeption letzter
Hand" keineswegs in der Lage, die "kosmographischen" Gedanken des liber
1 zu vertreten, was aber dennoch nicht ausschließt, ihn
zur - literarischen - Titelfigur des gesamten kosmographischen Werkes hochzustilieren.
Die Unvollständigkeit des Vorliegenden beim Tode des Vaters
verlangte von Rumold ein gewisses Maß von "Flickschusterei".
Vom ersten Teil lag nur Buch I für
den Druck allerdings vom Inhalt her gesehen, unter einem unzureichenden
Generaltitel - abgeschlossen vor, - nachdem vermutlich Gerhard Mercator
noch selbst veranlaßt hatte, die seinen Text Kosmographische
Gedanken: Kapitel 13 so trefflich ergänzende und
unterstützende Briefstelle des Sinstedius-Briefes einzuarbeiten.
Der schließlich ?von Rumold gewählte Titel von den cosmographicae
meditationes de fabrica mundi greift insofern für den "Atlas
Teil I" zu kurz, als in ihm völlig unberücksichtigt bleibt, daß
die ausgeführte Konzeption mehr enthält als ein reines (klassisches)
Hexaëmeron; sie enthält "Meinungen, die eines Christen würdig
sind" - um es mit Erasmus zu sagen: opiniones
Christiano dignae - sozusagen Gerhard Mercators exercitationes
in philosophia christiana, seine Übungen, seine Versuche über
die Philosophie Christi, - denn was ist "christliche Philosophie" - nach
Erasmus
von Rotterdam - anders als die "Philosophie Christi" selbst?
Diese aber ist weder kosmographischer noch kosmoontologischer
Natur,
sie ist Theologie.
Daher kann auch Atlas nicht als Erzählfigur der christlich-theologischen
Konzeption des vorliegenden liber 1
vom ersten (I.1) bis letzten (II.19) Kapitel auftreten, -
und zwar nicht deshalb nicht, weil es sich bei Mercators Atlas
um eine heidnische Figur handelt, sondern weil er als völlig
un-theologische
Figur konzipiert ist.
Vom zweiten Teil - mit dem die potentiellen Verkäufer angesprochen
werden mußten - lagen aktuell die Karten der Neuen Geographie bis
auf wenige Ausnahmen umfänglich vor. Gerade diese Karten würden
die Bedeutung des herzustellenden Konvoluts ausmachen. Da seit langem abzusehen
war, daß die noch ausstehenden Bände des Kosmographie-Konzeptes
keinem Abschluß zugeführt werden könnten, arbeitete die
Kartographische
Anstalt Mercator auch - ?seit langem - mit Hochdruck daran, die genealogischen
Exzerpte des Firmeninmhabers - und Anderer - dort zu plazieren, wo sie
- systematisch betrachtet - auch hingehörten: in das Kartenwerk an/in
jeweils geeigneter Stelle/Karte. (Man vergleiche die entsprechenden Texte
in den Hondius-Atlanten 1606ff.)
Die Alte Geographie, bereinigt und
vermehrt, sollte wohl mehr als eine "bereinigte und vermehrte" Neuauflage
der Bücher der Geographie des Ptolemäus
sein. (In der zweiten Auflage (1584)
seines Ptolemäus (1578)
fügte er den Karten der ersten Auflage ja nur die von Willibald
Pirckheimer redigierte Fassung der Geographie
hinzu - nunmehr in der Bearbeitung des Arnold Mylius.)
An einer - allein von ihm stammenden - zweiten Auflage der Chronologie
hat er - ausweislich des Versteigerungskataloges - offenbar immer wieder
gearbeitet.
Nimmt man Alles in Allem, so hat die Kartographische Anstalt Mercator
vom Atlas die Teile I, libri 2-5,
II, liber 2, pars 2 und liber 3 nicht (mehr) herausgeben können:
Krankheit und Tod des Firmeninhabers standen einem Abschluß der Kosmographie
unter dem Titel ATLAS - eigentlich
schon seit 1590 - entgegen.
.
Daß die Geschichte dem Atlas-Werk
Gerhard
Mercators den Namen 'Atlas' für jede Art von planmäßiger
An-Sammlung von 'Karten' (IN ATLANTEM II)
entliehen hat, zeigt, daß sein großartiger Entwurf
IN ATLANTEM I
von den
FÜNF BÜCHERN KOSMOGRAPHISCHER BETRACHTUNGEN
weitgehend unverstanden geblieben ist.
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