Im Vorwort des "Englischen Euklid" von 1570
schreibt John Dee, daß er die Brüder Borough
das Segeln mithilfe des "Paradoxall Compass" - invented
by me in 1557 - gelehrt habe.
In der folgenden Abhandlung PARADOXALL COMPAS versuche ich, den Canon Gubernauticus, die Funktionstafel der sieben Rhumbenwege des John Dee, zu rekonstruieren.
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John Dee - Canon Gubernauticus An Arithmeticall Resolution of the Paradoxall Compas (1557) Ashmolean Manuskript 242 fols. 139r-154v (Bodleiana, University Oxford) |
Die Tafeln wurden zuerst - und ohne jeden mathematischen Kommentar - abgedruckt in E.G.R.Taylor: A Regiment for the Sea by William Bourne of Gravesend, a gunner (1535-1582)Noch 1956 schreibt E.G.R.Taylor, daß "John Dee unfortunately preferred to keep his special knowledge out of print and it is impossible to tell quite what his new instrument [!] was what he called the Paradoxall Compass... It appears to have included a polar zenithal chart for setting course and avoiding the errors of the plain chart." In ihrer Einleitung zum Tafelwerk
Dee's schreibt Frau Taylor 1963:
"... and the reference to a diameter of 50
inches suggests the dimensions of the polar projection upon which he considered
the rhumbs could best be plotted, failing
a globe. This would, however, make a very unwieldy chart."
- woraus resultiert, daß Frau Taylor den "paradoxen Kompaß"
nicht als das System der Tafeln des Canon
Gubernauticus erkannt hat.
1. In seinem - zurecht - berühmten Vorwort zum "englischen Euklid" - d.i. der ersten Übersetzung der 13 Bücher des Euklid ins Englische durch Sir Henry Billingsley - erzählt John Dee 1570, wie er als "adviser of the Muscovy Company" die "chief pilots" Stephen und William Borough über die Anwendung seines Paradoxall Compasse / seiner Paradoxall Compasses- "by me invented anno 1557" - d.i. anhand des Canon Gubernauticus, den er womöglich im Jahre 1558 berechnet hat, über - heutigentags formuliert: - das "loxodromische Segeln" unterrichtet hat. Als ich zum ersten Mal im "englischen Euklid" die betreffende Stelle las, wurde mir aus dem Text ebensowenig wie Frau Taylor oder Frau Fell - in ihrem Buche über John Dee, 1909, klar, worum es sich eigentlich beim "paradoxall compasse" / bei den "paradoxall compasses" handelt: . Als ich das Regiment for the Sea von William Bourne- in der Ausgabe von E.G.R. Taylor, 1963, - dann 1998 las, fand ich als Appendix A den Canon Gubernauticus, das organum directorium - mit Gerhard Mercator zu sprechen, nur "anders" - : die Richtungstafel(n) des John Dee. Nun wurde mir schlagartig klar, was es mit dem "Paradoxicall Compasse" von 1557 auf sich hat: Die "Richtungstafel" des John Dee enthält für jeden "klassischen Rhumb" (n · 11.25°, n = 1..7) die "klassischen" Strichtafeln in der Gestalt von Koordinatentripeln als Punkten einer directio = Loxodrome, die vom Äquator in Rhumbenrichtung voranschreitet.
2. Das Neben- und Miteinander der so unterschiedlichen
Ansätze bei John Dee und Gerhard Mercator führt
mich zu folgenden Überlegungen:
Das Ashmolean Manuscript fols. 139r-154v wollte John Dee dem zweiten Buche seiner General and Rare Memorials of the Perfect Arte of Navigation - seiner Kommentare und Ergänzungen zu Martin Cortes' La Arte de Navigar (1551) - einverleiben; - geschrieben wurden es vermutlich im Jahre 1576. Der umfängliche Titel dieses Buches sollte lauten: "A great volume, in which are contained our Queene Elizabeth her Arithmeticall Tables Gubernatick: for Navigation by the Paradoxall Compass (by me invented anno 1557) and Navigation by Great circles; and for longitudes and latitudes, and the variation of the Compass, finding most easily and speedily : yea (if need be) in one minute of time, and sometime, without sight of Sun, Moone or Star: with many other new and nedeful inventions Gubernatick."Da Dee selbst andeutete, daß dieses Buch "will be of more hundred pounds Charges to be prepared for the print", fand er auch in Sir Christopher Hatton nicht den erwarteten Sponsor:
3. Es ist durchaus verständlich: Anders als sein Freund Gerhard Mercator war John Dee als Berater der Muscovy Company nicht an der Herstellung einer "korrekten" Karte ad usum navigantium interessiert, sondern vielmehr an "richtigen" Anweisungen zum "korrekten Kompaßsegeln" - mit Hilfe welcher Karten auch immer. Daß die "alte" Plattkarte nicht zum korrekten Kompaßsegeln tauglich war, das hatten John Dee und Gerhard Mercator offenbar schon längst bei den Besuchen Dee's im Löwen der Jahre 1547/1548ff. diskutiert, - schließlich nahm John Dee nach seinem ersten Besuch 1547 zwei Erdgloben Gerhard Mercators von 1541 mit zurück nach Cambridge - zum Nutzen und Frommen der Gelehrten wie der Studenten der Geographie dort: "left to the use of the Fellows and Scholars of Trinity College". Die directiones des Erdglobus - über ihre "Erfindung" und ihre erstmalige "delineatio" auf dem Globus wird man in Löwen fleißig gesprochen haben -müssen John Dee seither aber stete Veranlassung gewesen sein, über das korrekte Segeln nach dem Kompaß und damit über die delineatio des "verrückten Kompaß" in der Seekarte nachzudenken. Die - spätere - "neue Abbildungsart" seines Löwener Freundes aus dem Jahre 1569 - das muß ?leider festgestellt werden - hat John Dee weder begriffen
Er wollte ganz einfach keine "andere" Seekarte - ad
usum navigantium emendate et accommodata - berechnen, sondern
die Navigatoren der
Muscovy Company lehren, wie man das dead
= deduced reckoning - das Koppeln der Bestecke - , mit dem Kompaß
segelnd, korrekt ausführt. Sein Ansatz ist daher grundsätzlich
verschieden von dem Gerhard Mercators, - wie wir dann auch in der
Rekonstruktion seiner Tafel methodisch erfahren werden, wenngleich ?seine
Methode auch für eine Überraschung gut ist.
4. Da er inzwischen - d.h. nach 1550 - mit Pedro Nunes in Kontakt getreten war, mag ihm Nunes über die Andeutungen von 1533/37 hinaus mitgeteilt haben, daß die so schwer zu fassenden "paradoxen Rhumben" sich doch eigentlich durch einen approximierenden Umgang mit Großkreisstücken in den Griff bekommen lassen müßten, - ein Verfahren, das er - Nunes - demnächst in seinen Gesammelten Abhandlungen in einer besonderen Abhandlung Über die Kunst und das Regelwerk der Navigation propagieren werde, wobei er allerdings die Auffüllung des betreffenden Canons den jüngeren unter den Mathematikern (?seiner Schule in Coimbra) überlasse. Pedro Nunes realisierte diese ?Mitteilung an John Dee in der Tat dann auch im Jahre 1566 bei der Herausgabe seiner gesammelten Werke. In den Petri Nonii Salaciensis opera, Basilae 1566, findet sich der Traktat De arte atque ratione navigandi , in dessen Kapitel XXVI er den Satz (propositum) behandelt "globum rumbis delineare" (wie man die Rhumben (Loxodromen) auf dem Globus darstellt). Das Rhumbentafel-Schema auszufüllen, überläßt er in der Tat jüngeren Scholaren ... .Hatte John Dee das Problem der Hochseeschiffahrt spätestens mit Hilfe seines Freundes Gerhard Mercator in Löwen kennengelernt, so war es nun als adviser der Muscovy-Company an ihm, wenn schon nicht die "richtigen" Karten zu liefern, so doch wenigstens das korrekte kompaßorientierte Koppel-Segeln zu lehren. Dazu bedurfte es eines Canons, einer Richtungstafel, aus dem
| aus der der Pilot die zutreffenden Angaben - ohne rechnen zu müssen:
yea
(if need be) in one minute of time, and sometime, without sight of Sun,
Moone or Star - (!!!) entnehmen konnte :
Wenn ich z.B. vom 20. Breitengrad im 1.Rhumb Nord ten oosten - der flandrischen Windrose entsprechend - zum 21. Breitengrad "hinauf"segele, - wie groß ist dann die gesegelte östliche Längendifferenz? Dee's Canon gibt die Antwort:
5. Es stellt sich daher die Frage: Ist denn das Tabellenwerk des paradoxall compas des John Dee aus den Jahren 1557/1558 - wie es im Ashmolean Manuskript 242 fols. 139r-154v von 1576 vorliegt - in der Tat Die einfache Antwort lautet: Ja.gemessen an den Möglichkeiten und mit den Hilfsmitteln der späteren loxodromischen Trigonometrie kontrollierteine Art organum directorium - wenn auch nicht geometrisch-konstruktiver Art wie 1569 bei Gerhard Mercator , sondern tabellarisch-berechneter Art? . Daß John Dee rechnet - nicht konstruiert - , das geht schon aus der Präzision seiner Tabellenwerte "bis auf Sekunden genau" hervor - abgesehen von "Ausreißern"Auf Grund welcher Vorstellungen - kalkulatorischer | navigatorischer Art - John Dee vermutlich gerechnet hat - z.B. mit Hilfe des Canon doctrinae triangulorum , Leipzig 1551, des Joachim Rheticus - , werde ich weiter unten zeigen. Betrachten wir zunächst den Ansatz der loxodromen Trigonometrie,
die heutigentags die Gleichung der
Kugelloxdromen wie folgt darstellt:
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Da John Dee nicht - wie ?später Gerhard Mercator - gefragt hat: Wie muß die Plattkarte konstruktiv verändert werden, damit in jeder Breite die vera similitudo vel ratio - die wahre Ähnlichkeit oder das wahre Verhältnis - zum Äquator eingehalten wird ?sondern allein bei vorgegebener Breite und vorgegebener Segelrichtung die Längendifferenz gegen Osten | gegen Westen für auf dem Großkreis nach Norden | Süden zu bestimmen trachtete, ist die Loxodromengleichung nach aufzulösen: |
Ich halte fest:
6. Werfen wir jetzt einen (ersten) Blick
auf den Canon des John Dee für
= 78.75° :
Die Dee'sche "resolute" entspricht der Längendifferenz , die "continuates" sind nichts anderes als die fortscheitenden Summen der "resolutes". Es ist schon hier festzuhalten, daß der Canon Dee's offenbar höchsten Ansprüchen genügt:Im noch unempfindlichen Eingang der Tabelle 78°45' [1°-5° ] kommt eine Abweichung gegenüber der Theorie von nur einer Sekunde = einer sechzigstel Seemeile - d.h. von gerade einmal rund 31 m - vor. Ein erstaunliches Resultat. Entscheidend für die Genauigkeit der Dee'schen continuate-Spalten ist dabei die Genauigkeit der Werte in den resolute-Spalten:
7. Betrachten wir die aus Abschnitt 3 induzierte Rekonstruktion der Dee'schen resolutes zunächst hinsichtlich der angeführten Canon-Werte:
so ist zuerst einmal festzustellen, daß auch hier bei der Rekonstruktion eine Übereinstimmung - wie bei der Theorie - "bis auf eine Sekunde genau" - vorliegt. Es ist die also Frage gestattet,
Daß aber selbst in der größten Breite (80°) die
Abweichungen in den Resoluten gelegentlich "nur"
betragen, sind dennoch Indizien besonderer Art. Wer sich die vergleichenden Tafeln Dee : Theorie : Rekonstruktion genauer vor Augen führt, erkennt natürlich, daß in allen Tafeln einige - höchstens durch Rechenungenauigkeiten erklärbare "Ausreißerdaten" vorkommen. Die erstaunlichste Folge von Abweichungen kommt dabei im 7.Rhumb (78.75°) vor. In die Dee'schen Tafeln habe ich zum Vergleich die Längendifferenzen der Theorie wie die der Rekonstruktion eingearbeitet. Mit Hilfe eines PASCAL-Programms kann sich der interessierte
Leser schnell für jeden Rhumb einen Überblick
über die Unterschiede zwischen Dee, Theorie und
Rekonstruktion
verschaffen. Die Unterschiede sind in Sekunden ausgewiesen.
Wird nicht "mein" Navigator benutzt, so müssen die *.txt-files mit heruntergeladen werden.
8. Wie aber läßt sich Dee's Ansatz gemäß Abschnitt 3 rekonstruieren? Ob mit Unterstützung durch Nunes oder nicht :
Ich halte fest:
Probieren wir einige Werte aus:
Ich gehe also davon aus, daß damit - der Rest ist Rechnung bzw.
Statistik
- die Methode des Canon Gubernauticus
von John Dee aus den Jahren 1557ff.
rekonstruiert ist.
9. Stellen wir zum Schluß die auf
den einzelnen Tafeln ausgewiesenen Beziehungen zwischen den Dee'schen
Tafelwerten, den Werten der loxodromen Trigonometrie wie der Rekonstruktion
nach den Mittelwerten
m und ihrer stochastischen
Streuung
s
systematisch zusammen.
Da in den Breiten größer als 70° N | S etliche "Ausreißer" die über weite Strecken geradezu fabelhafte Übereinstimmung - im wahrsten Sinne des Wortes "sagenhafte" Übereinstimmung der Dee'schen Ergebnisse | Rechnungen mit denen der loxodromen Trigonometrie wie der hier versuchten Rekonstruktion - "stören": ?Flüchtigkeitsfehler, ?Rechenfehler, habe ich die vergleichenden Untersuchungen sowohl auf die Breiten von 1° bis 80° als auch auf die Breiten allein von 1° bis 70° erstreckt.
Zum Verständnis sei noch einmal an den Werten für den siebten Rhumb erläutert: Die Abweichungen der Dee'schen Werte von denen der Theorie belaufen sich (hier) "im Mittel" auf -91", d.h. sie sind im Mittel kleiner als die Werte der Theorie. Betrachtet man die Verhältnisse nur bis zum 70. Breitengrad, so verbessern sich die Maßverhältnisse wie angezeigt: "im Mittel" weichen die Dee'schen Werte von denen der Theorie um -1'' ab, sie schwanken in 99% aller Fälle höchstens um 1' (3·21'') um diesen Mittelwert.Die Maßzahlen für die Beziehung zwischen der Theorie und der approximierenden Rekonstruktion zeigen eine gute (signifikante) Parallelität an. Die negativen Mittelwerte machen dabei auf den gravierenden Unterschied von Theorie und Rekonstruktion aufmerksam:
10. Eine letzte Überprüfung und einen letzten Vergleich: kann ich / man leider nicht durchführen:
Es bleibt (aber) dabei: Die Statistik ist überzeugend - wie bei den Konstruktionen zur Weltkarte 1569 - ; eine letzte Sicherheit ist bis auf weiteres nicht gegeben, weder bei John Dee noch bei Gerhard Mercator, - was sich eigentlich jeweils ohne weitere Findung von Quellen von selbst versteht.
12. Anhand des von mir favorisierten Ansatzes
mag sich der interessierte (und in der Dreiecksrechnung versierte) Leser
davon überzeugen, daß auch die Lösungen der navigatorischen
Aufgaben, die vom loxodromischen Längenbegriff Gebrauch machen, durchaus
ohne allzu große Beschwerden möglich sind, denn Dee scheint
seine Tafeln auch dafür berechnet zu haben: duely
to vse the same, to all maner of purposes, whereto it was inuented.
Für r= RErde liefert diese "Näherungsrechnung" die exakte Gleichung Wenn man davon ausgeht, daß John Dee die chief pilotes gewiß gelehrt hat, wie man mit der Funktion (Tafel) und mit dem Erdradius proportionally geeignet umgeht, und wenn Dee dabei 1 legua als Recheneinheit zugrunde legte, brauchten die Piloten nur die Proportion nach s [in Leguen] aufzulösen.
Ein Schiff segele im 4.Strich = 45° von 38°N hinauf nach 40°N. |
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