3 Die Editionsfehler 3.1 Am 15.Februar 1908schrieb A.Tihon dem seinerzeit wohl bekanntesten Mercator-Forscher Fernand van Ortroy einen Brief, in dem er ihm Einzelheiten über den Fund des (ersten) Mercator-Vivianus-Briefes mitteilte. Da er dem Briefe auch eine handschriftliche Skizze des typus universitatis beigefügte, die sich von der im Bulletin-Aufsatz S.138 veröffentlichten Lithographie in doch bezeichnenden - wenn nicht entscheidenden - Punkten unterschied, setzte er eine Reihe vom Ungereimtheiten bezüglich des typus in die Welt, die bis heute noch nie korrekt angesprochen worden sind. |
Tihon
fertigte die Skizze für Ortroy auf kariertem Papier an.
Schon ein flüchtiger Vergleich der HANDSCHRIFT mit der LITHOGRAPHIE
bringt die Unterschiede zum Vorschein.
Wir wollen davon ausgehen, daß die HANDSCHRIFT
dem leider verloren gegangenen ORIGINAL noch am ehesten entspricht.
Die Gründe dafür ergeben sich weiter unten.
|
|
Betrachten wir die Unterschiede bzw. Fehler etwas genauer.
Der typus im Bulletin unterscheidet sich von dem der Handschrift in vier Punkten, die wir durch Kreise lokalisiert haben. |
Sforge | Spiritus | Virrificatio | Merkur / activitas Fettgedrucktes verweist auf Unterschiedliches: Rotes annotiert Fehlerhaftes. |
Sforge | Spiritus | Vivificatio | Merkus / activitas |
3.2 Lösen wir die Fehler auf:
Für Averdunks Vorschlag sprechen die Kosmographischen Gedanken, in denen Gerhard Mercator in seiner Explikation der Philosophie der Platoniker davon spricht, daß die Anima mundi |die Weltseele oder der Dritte Gott & vita viuificans inferiora (I.2 Anima). Und so stellt Gerhard Mercator in seinem Welt-Schema geistesgeschichtlich korrekt / richtig die Sonne mit ihrer alles-belebenden Funktion = vivificatio zusammen. Das Wort selbst mag er bei Tertullian in der Streitschrift gegen Marcion 5, 9 gefunden haben. Ohne Zweifel: Tihon hat sich verlesen und hätte den Buchstaben f als t auflösen müssen, denn sforge ist tatsächlich als storge = storgh = griech. poetisch: Liebe zu lesen: Die mens im Sinne Gerhard Mercators - regiert von Mars, Jupiter und Saturn - ist der mens des hl. Augustinus wie dem WeltGeist (MENS) derKabbala - nachempfunden: Die Trias des hl. Augustinus von memoria (Gedächtnis, Bewußtsein), intellectus (Verstand) und voluntas (Wille) findet bei Gerhard Mercator in der Einheit von Liebe zum Guten (storgh) = Wollen, Fühlen (affectus) und Denken (ratio) im typus ihre Entsprechung.Dem WeltGeist der Kabbala aber, der MENS, sind SPIRITUS und ANIMA beizuordnen.
Diese Fehler verdanken wir offenbar allein der Unaufmerksamkeit Tihons. Ihm ist der diesbezügliche Unterschied zwischen der Lithographie und seinem Ortroy-Brief schlicht und einfach entgangen, denn im Briefe an van Ortroy findet sich das nahezu korrekt (handgezeichnete) Schemabild des typus:
In der Lithographie (bei Tihon wie Averdunk) sind die beiden "sonnen-gebundenen" Planeten fälschlich in den gleichen äußeren Wirtel gesetzt. Geben wir der HANDSCHRIFT den Vorzug, so hat Gerhard Mercator astronomisch
korrekt - Näheres darüber weiter unten -
Venus
und Merkur in jeweils eigenen, sonnenzentrierten
Sphären untergebracht:
Es ist gewiß nicht uninteressant nachzufragen, warum Gerhard Mercator in seinem typus die Planeten in Kreisringen = Wirteln "unterbringt" ?
Die Planeten würden sich dann nicht auf Sphären (lat. orbes) bewegen, sondern in Schalenflächen zwischen zwei Sphären, deren flächenhafte Bilder eben Kreisringe sind. Der Mittelpunkt des (jeweiligen) Epizykels läuft dabei auf dem sogenannten Deferenzkreis um, der exzentrisch in Bezug auf die Erde ist. Und dieses Bild finden wir schon im Breves in Sphaeram 1563, wo Gerhard Mercator es von ?Peu[e]rbach übernimmt. Breves in Sphaeram belegt damit in wünschenswerter Deutlichkeit, daß Copernicus Gerhard Mercator in diesem Punkte jedenfalls nicht beeinflußt hat. Erst Tycho Brahe räumt mit dem materiellen Konzept der Schalen (Sphären) auf: Nur die Preisgabe des materiellen Substrats der Gestirnbahnen läßt ihn erklären, warum die Marsbahn folgenlos die Bahn der Sonne zu kreuzen imstande ist.
Die Frage, ob Gerhard Mercator von den Auffassungen der "Philippisten", den Vertretern der Schule Melanchtons, beeinflußt worden ist - z.B. von dessen Schwiegersohn Caspar Peucer - , läßt sich wohl abschlägig bescheiden, da es sich bei den betreffenden Vertretern dieser Schule stets um Astronomen handelt, deren Schemata astronomisch, nicht metaphysisch zu interpretieren sind. Auch finden sich die einschlägigen Veröffentlichungen dieser Schule 1568ff. nicht in der Bibliothek Gerhard Mercators und aus dem - bis dato - einzig erhaltenen Brief Gerhard Mercators an Melanchton (1554) lassen sich keine betreffenden Schlüsse ziehen (siehe dort): seine Vorträge in der Lateinschule Duisburgs hätten dann gewiß auch einen frühen Reflex "philippistischer" Gesinnung gezeigt. Ein solcher aber ist aber auch 1563 nicht erkennbar. |