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Zur Editionsgeschichte
2.1 Forscht man den Albumblättern
heute nach, so ergibt sich,
-
daß das Album amicorum Viviani
seit 1909 in der Koninklijken
Bibliotheek in Den Haag aufbewahrt
wird,
-
daß das Album amicorum Viviani
diesen Brief und seine Beilage nicht enthält.
Wenn wir nun bedenken, wie sorgfältig der Adressat eines Albumblattes
- ja, das ganze Zeitalter - mit Freundschaftsbezeugungen umgegangen ist,
so können wir nur den Schluß ziehen, daß die Blätter
vom 13.August 1573
ihren Adressaten - Johannes Vivianus - nie erreicht haben.
Das Briefblatt vom 13.
August 1573 selbst und die ihm beigefügte Zeichnung typus
universitatis blieben bis zum Jahre 1908
verschollen.
Das war umso bedauerlicher, als Gerhard Mercator auf diesen Albumblättern
zum ersten Mal selbst sein metaphysisch-kosmologisches Weltbild umfassend
offen gelegt hat, wenngleich er die systematisch-relevanten Quellen
nicht zugleich mitlieferte - sieht man von den wenigen Gedanken ab, die
Gerhard
Mercator durch seine Söhne Bartholomäus und Rumold
vor dem Erscheinen der Kosmographischen Gedanken
hat verbreiten lassen:
-
durch Bartholomäus 1563
im Breves in Sphaeram b8v-c4v
zur Marginalie Narratio brevis Cosmopoiae,
- die man durchaus als "Rohentwurf" der cosmographicae
meditationes II von 1593
(veröffentlicht 1595) ansehen
kann
-
durch Rumold 1587 auf seiner
Karte Orbis terrae compendiosa descriptio
unter dem Titel De mundi creatione ac constitutione
brevis instructio - wobei nahezu die gesamte instructio
aus dem Breves in Sphaeram abgeleitet
werden kann. Nur wenige Gesichtspunkte verweisen über die 63er Texte
hinaus, sind dann aber aus den Legenden der Weltkarte
von 1569 herleitbar. Am Ende des kosmographischen Teils der instructio
verweist Rumold auf die cosmographia
seines Vaters, die dieser (1587: abgeschlossen
bis Mai 1593 und
abschließend redigiert nach dem 1.
Juli 1594 [julianischen Datums, dem 12.
Juli 1594 gregorianischen Datums]
"in nächtlicher Arbeit" bearbeitet.
Die Entwicklung seiner naturmetaphysischen Vorstellungen vom himmlisch-irdischen
Zusammenhang aller Dinge auf der Grundlage von GEN
1 reicht in ihren Ursprüngen gewiß weit in die Jugendzeit
des Gheert Kremer zurück. Sie hat aber spätestens in den
Jahren zwischen 1558
und
1573
ihren relativen Abschluß gefunden, so daß Gerhard Mercator
im Jahre 1573 Johannes Vivianus davon
Mitteilung machen konnte / wollte. Ihr rühmliches Ende haben dann
die "nächtlichen Arbeiten"
Gerhard
Mercators in der ersten Abhandlung des auf fünf Abhandlungen veranschlagtenAtlas-Buches
unter dem Titel der Kosmographischen Gedanken
1593
(1595) gefunden und zugleich ihre großartige
Ausgestaltung als eines Hexaëmeron - als naturphilosophisch-theologische
Geschichte des göttlichen Sechstagewerkes - erfahren
Noch 1563 läßt Gerhard
Mercator seinen zweiten Sohn Bartholomäus,
der sich im Titel des Breves in Sphaeram
- wie sein älterer Bruder Arnold auf seinen ersten Karten
- stolz "Lovaniensis" (aus Löwen
gebürtig) nennt,
das ptolemäische Weltbild vertreten.
1573
übernimmt er dagegen die ägyptisch-chaldäische Ordnung des
Kosmos, wie sie von Martianus Capella im 5.
Jh.n.Chr. berichtet und gelegentlich in die mittelalterliche
Lehrpraxis der Sieben Freien Künste
aufgenommen worden ist.
Unter der "ägyptisch-chaldäischen Ordnung des Kosmos"
ist diejenige kosmische Vorstellung vom Zusammenhang der sieben Planeten
zu verstehen, die einerseits auf chaldäische Weise die Sonne in die
"Mitte" der Planetenfolge stellt:
-
Saturn-Jupiter-Mars-Sonne-{Merkur-Venus}-Mond,
und die anderseits - der bei Macrobius angeführten aegyptiorum
ratio, der Hypothese der Ägypter (den äqyptischen Astronomen
/ Astrologen) folgend - die beiden "inneren" Planeten Merkur
/ Venus bzw. Venus
/ Merkur an die Sonne
als ihre Trabanten "kettet", so daß eigentlich die klassische lineare Anordnung
der Planeten - in welcher Reihenfolge auch immer - nicht mehr vertreten
werden konnte - bis eben das heliozentrische reale
Weltbild des
Nicolaus Copernicus sich durchgesetzt hatte.
Für Gerhard Mercator steht spätestens
seit dem typus fest:
-
der Mond, die Sonne
und die "äußeren" Planeten
umkreisen die ruhende Mitte, den "Nabel der Welt": die Erde;
-
die "inneren" Planeten
Merkur
und Venus umkreisen die Sonne
"direkt", die Erde aber als Trabanten
(comites) der Sonne "indirekt".
Das gleiche metaphysische - nur in Grenzen astronomisch auszudeutende -
Schema legt Gerhard Mercator seinen abschließenden Überlegungen
im ersten Buche des Atlas, den Kosmographischen
Gedanken, zu Grunde.
2.2 Der Originalbrief
Gerhard
Mercators (oder eine ?Abschrift davon - das ist leider nicht mehr entscheidbar,
da der Brief in den Kriegswirren 1944
verlorengegangen ist) wurde im Jahre 1908
von A.Tihon unter Dokumenten des 16. Jahrhunderts in den Archives
de l'Etat zu Lüttich aufgefunden:
Tihon teilte am 13. Februar
desselben Jahres dem damals durch seine jahrelange Mercator-Forschung bekannt
gewordenen Fernand van Ortroy in Gent mit, daß ein Brief Gerhard
Mercators an Johannes Vivianus in einem Band von 115 Folioseiten
unter den Nrn. 26 und 27 aufgefunden worden sei.
In der Sitzung am 19. März 1908
legte Tihon den Brief der historischen Kommission der königlichen
Akademie von Belgien in Brüssel vor, die ihn dann - leider nicht faksimiliert
- in ihrem BulletinBd 77,
S.134-138:
Une
lettre de G.Mercator à J.Vivian, veröffentlichte.
Maurice van Durme hat ihn 1959
als Nr. 92 in seine Mercator-Korrespondenz
aufgenommen, - allerdings ohne die Bildbeilage (S.138 der Tihon-Veröffentlichung)
mit herauszugeben.
Heinrich Averdunk schreibt 1914,
daß Tihon offenbar beim Lesen des Wortes sforgae
ein Fehler unterlaufen sei. Er schreibt aber nicht, um welchen Fehler es
sich seiner Meinung nach handelt. Da er die Lithographie Tihons
(S.138) als Tafel XX unverändert
übernimmt, läßt er - wie Tihon - sforge
schreiben; van Durme übernimmt sforgas
gleichfalls von Tihon:
-
Das aber heißt, daß weder Tihon, Averdunk
noch van Durme den Lesefehler entschlüsselt haben.
Tihon ist darüber hinaus noch ein weiterer, sehr viel
wesentlicher und schwerwiegenderer Fehler unterlaufen - der ebenfalls bis
heute nachvollzogen wird, wenn/weil man stets Averdunks Tafel
XX nachdruckt.
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