Löwen 1530 - 1552
Auf die Weise der Devoten und Schulhumanisten tief im religiösen Leben
der Zeit verankert, brach Gheert Kremer mit 18½ Jahren zu
neuen Ufern humanistischer Denkungsart auf. In Löwen immatrikuliert,
nannte er sich fortan Gerardus Mercator Rupelmundanus,
Gerhard
Mercator aus Rupelmonde.
Wenn auch definitive Nachrichten über seine Studien bislang ausgeblieben
sind und auch die heutige Spurensuche für die Jahre von 1532
bis 1536 nicht fündig wird, so können wir doch aus
späteren Urkunden der Universität auf die Lehrinhalte und Lehrverfahren
der dreißiger Jahre zurückschließen: Die scholastisch-mittelalterlichen
Inhalte und Verfahren am Pädagogium Castri
konnten einen lernbegierigen, auf Identitätssuche befindlichen jungen
Christen wie Gerhard Mercator nicht befriedigen. Wie einen echten
Devoten und Erasmianer widerte den jungen Mann der überzüchtete
Intellektualismus der spätscholastischen Philosophie an. Eingeführt
in das augustinische Geistesleben, wirkte das mittelalterlich-scholastische
Korsett im Denken und Leben der Hochschule mehr beengend als erweiternd,
mehr den biblischen Glauben auflösend denn festigend: Die Lebensbeschreibung
(Vita) des Walter Ghim, späterer
Nachbar und Freund Gerhard Mercators in Duisburg, enthält für
diese Zeit nur unzulängliche Nachrichten, da sie - dem Geist der Zeit
entsprechend - die Befindlichkeiten dieser Jahre allein humanistisch-wohllobend
ausformuliert und ausschließlich positiv berichtet: "er studierte
so lange, bis er den Grad eines Magisters der Künste erworben haben
mag". Die damalige Lage der Löwener Artistenfakultät
macht einen derartigen Abschluß aber eher unwahrscheinlich. Viel
wahrscheinlicher scheint uns heute, daß der sich in seinem Studium
immer unbehaglicher fühlende junge Mann 1532
das Studium ohne einen akademischen Abschluß abgebrochen, auf das
Stipendium im Pädagogium "Zur Burg" verzichtet und sich eine Weile
- wie auch immer - durchgeschlagen hat: Er betrieb außerhalb der
Hochschule private philosophische Studien, die ihm innnerhalb seines Studiums
nicht angeboten worden waren: denn schon seit dem Hochmittelalter - wie
uns Thomas von Aquin versichert - hatten die sieben freien Künste
keineswegs die Philosophie zu ihrem Inhalt.
Diese privaten Studien haben ihn offenbar nur noch tiefer in den Gegensatz
von mosaischer Biblizität und scholastischem
Aristotelismus und damit förmlich in eine Glaubenskrise getrieben.
In seiner Verzweiflung - so schrieb Gerhard Mercator 1592
im Widmungsbrief seiner Evangelienharmonie
- wollte er allein sein: Er machte sich auf den Weg von Löwen nach
?Antwerpen, um in völliger Unabhängigkeit und Einsamkeit die
tiefsten Geheimnisse der Natur selbständig auszuforschen,
so daß er sogar nach Ausflüchten suchte um zurückzubleiben,
wenn ihn das leere Geschwätz derer, die
ihn auf der Wanderung einholten, mit Widerwillen erfüllte. In der
Einsamkeit reifte sein Entschluß: Kosmograph,
wereldbeschrijver,
- das will er werden!
Wieder in Löwen, hörte er den vier Jahre älteren Gemma
Frisius über die Neuere Planetentheorie
Peuerbachs
vortragen: audivi - und verstand nichts, denn
es fehlten ihm die mathematischen Grundlagen. Von Gemma beraten,
brachte er sich anhand der Elementargeometrie
- Elementale geometricum - des Johannes
Voegelin, der Geometria des
Orontius Delphinus, und im sorgfältigen Studium
der ersten sechs Bücher der Elemente des Euklid - intra
sex priores libros - die erforderlichen Kenntnisse leichthin - sine
multo labore - selbst bei - domi sum meditatus
- und verdiente mit dem gerade erworbenen Wissen im Privatunterricht sein
tägliches Brot - bis Gemma Frisius und
Gaspar Vander Heyden
( à Myrica), Goldschmied in Löwen und Kupferstecher im
Auftrage des Gemma, sein handwerkliches Talent erkannten und ihn
bei der Anfertigung des (zweiten) Erd-
(1535) und später des (ersten)
Himmelsglobus
(1537) des Gemma heranzogen.
In wenigen Jahren wurde damit aus dem mittellosen Scholar ein gutverdienender
Instrumentenbauer, Kartograph und Landvermesser. 1536
konnte er daher schon eine Familie gründen; er ehelichte die Löwenerin
Barbara
Schellekens, die ihm drei begabte Söhne und drei wohlgeratene
Töchter schenkte, und mit der er fünfzig Jahre lang in vorbildlicher
Ehe lebte.
Eine Marktnische seines neuen Tätigkeitsfeldes
entdeckend, stach er 1537 nach eifrigen
Bibelstudien und chorographischen Vorlagen des Jakob Ziegler aus
1532/1536
eine Palästina-Kartein Kupfer,
die er
Franciscus Craneveld, Ratsherr des
unbesiegbarsten Kaisers, widmete. |