Duisburg 1552 - 1594

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Gerhard Mercator war im Jahre des Passauer Vertrages, der am 2.August 1552 zwischen Moritz von Sachsen und König Ferdinand I. geschlossen wurde, nach Duisburg übergesiedelt. 
 
Der Passauer Vertrag ist das Ergebnis von Beratungen von neun Reichsfürsten und elf Gesandten von Reichsfürsten, die sich vom 22.Mai bis 2. August in Passau zusammengefunden hatten. Bekanntlich machte dieser Vertrag nicht nur die Erfolge Karls V. im Schmalkaldischen Krieg zunichte, er setzte auch Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen wieder in Freiheit und hob das Augsburger Interim von 1548 auf. Ob die damit in den deutschen Landen offenbar werdende Duldung des protestantischen Christentums auch Gerhard Mercator, seine Familie und Werkstatt nach Duisburg geführt hat - wie oftmals gemutmaßt wird -, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Familie schon im März 1552 in Duisburg angekommen ist. Ob eine kommende alma mater in Duisburg ihn lockte, - wir wissen es bis heute nicht.
Andreas Masius, der von 1551 an u.a. die Pläne Wilhelms des Reichen von Jülich-Kleve-Berg in Rom für die Gründung einer klevischen Universität zu betreiben hatte, ?mag Gerhard Mercator einen betreffenden Wink nach Löwen geschickt haben, wo dieser so lebte, wie Erasmus von Rotterdam in seiner Auseinandersetzung mit Luther - über den freien Willen - seinen Standpunkt beschrieben hatte: Ich wollte immer ein einzelner sein und hasse nichts mehr als eingeschworene Anhänger und Parteigänger.

Es ist zwar unwahrscheinlich, daß Gerhard Mercator gehofft haben mag, in Duisburg, einem Landstädtchen von damals kaum 3000 Einwohnern, an die noch zu gründende Universität berufen zu werden - der Landesherr hätte sich über das Fehlen akademischer Würden hinwegsetzen müssen - , aber anders als in Löwen konnte er sich sicher sein, für sich und seine Familie eine angesehenere Position in der noch nicht akademisch durchwucherten ständisch-städtisch-bestimmten Kleinstadt gewinnen zu können. 

Es mag auch sein, daß den in religiösen Fragen auf erasmische Weise den Ausgleich und den Frieden zwischen den Bekenntnissen suchenden Gerhard Mercator etwas nach Duisburg geführt hat, was er 1569 in der Legende Felices patriae, Glückliche Länder, seiner Weltkarte mit den Worten umschrieben hat: Es fürchtet der Bürger, wenn er mit solcher Lenkung [wie er sie zu diesem Zeitpunkt in Duisburg durch Wilhelm V. (den Reichen) erfahren hatte] regiert wird, keine Nachteile, keine schrecklichen Kriege, keinen wüsten Hunger; die Ansatzpunkte für die unwürdigen Denunzianten sind abgeschnitten. Frömmigkeit und ihre reizende Schwester, der Frieden, beseitigen jedes üble Verbrechen oder decken es auf; die unschuldige Menge allein erhält Lob, und allein denen werden Ehren zugestanden, die ihre Gabe auf das Gemeinwohl ausrichten. Fürwahr: vergleichbar den erasmische Gedanken der Klage des Friedens von 1516
 

Nach der Veröffentlichung des Versteigerungskatalogs der Bibliothek der Familie Mercator aus dem Jahre 1604 im Dezember 1994 wird immer offensichtlicher, daß für jemanden, der (z.B.) die Werke des Erasmus, des Martin Luther, des Philipp Melanchton oder gar die Schriften der anderen  "Ketzer" von Bucer über Calvin bis Oekolampadius und Zwingli in seiner Bibliothek besitzen und studieren wollte, in der tiefschwarz eingefärbten Stadt Löwen - um ein Bild Hegels zu benutzen - kein Zuhause mehr sein konnte, - ob er nun der "neuen Bewegung" bekennend angehörte oder nicht.
Die Ankunft der Familie Mercator  in Duisburg hat sich im März Jahres 1552 ohne Geräusch vollzogen, und Gerhard Mercator ist sofort wieder an seine Arbeit gegangen: Für Kaiser Karl V. fertigte er - auftragsweise - binnem kurzem nicht nur einen "Astronomischen Ring" und einen kleinen Doppelglobus, die er beide zusammen mit in Briefform gefaßten Erläuterungen der vorzüglichsten Anwendungen dieser Gerätschaften - einer declaratio insigniorum utilitatum - selbst nach Brüssel überbrachte,  - eine Tatsache, die mit Sicherheit ausschließt, daß der Umzug einer Flucht vor erneuten Übergriffen der Inquisition gleichzusetzen ist. 
[Eine Rekonstruktion dieser Gerätschaften im Anschluß an die declaratio werde ich in Kürze veröffentlichen.]


Im Oktober 1554 vollendete Gerhard Mercator die nach fleißigem Sammeln und eifrigen Studien alter und neuer geo- und kartographischer Quellen noch in Löwen begonnene Karte von Europa

mit der er sich nach dem Urteil seiner Zeitgenossen nicht nur als Koriphäe unter allen wereldbeschrijvern auszeichnete, sondern mit der er auch ein neues Zeitalter wissenschaftlich fundierter Weltbeschreibung einläutete. Er widmete die großformatige Karte (147 cm x 120 cm) dem hochwürdigsten Herrn Bischof von Arras, Herrn Antoine Perrenot, dem ersten Rat der kaiserlichen Majestät. (Das einzig-erhaltene farbige Exemplar der 2.Auflage von 1572 befindet sich heute in der Herzogin-Amalie-Bibliothek zu Weimar.)

Abraham Ortelius, den Gerhard Mercator 1554 auf der Frankfurter Messe freundschaftlich kennenlernte, knüpfte 1570 an diese und die beiden nächsten Karten - der Karte der Britischen Inseln, 1564

nach Vorlagen, die ihm aus England zugegangen waren, und der Weltkarte ad usum navigantium, 1569 - die hochlobende Auszeichnung Gerhard Mercators als nostri saeculi Ptolemaeus, als Ptolemäus unseres Jahrhunderts
 
Als 1559 die alte Lateinschule Duisburgs zu einem "Neuen Gymnasium" erweitert wurde, kam dessen Lehrplan unter der Mitarbeit Gerhard Mercators zustande. Im Neuen Gymnasium trug er unentgeltlich drei Jahre lang zweimal in der Woche um 9 Uhr morgens Kosmographie nach Johannes Sacrobosco und Pomponius Mela, Arithmetik nach Gemma Frisius sowie Geometrie nach der Elementargeometrie des Johannes Voegelin vor: exakt das Pensum, daß der junge mathematische Autodidakt nach dem Abbruch seiner Hochschulstudien - alles nur auf die Kosmographie zugeschnitten - hinter sich gebracht hatte. Die Praxis der Feldvermessung sollte nach Gemma und die allgemeine Lehre über die Größen und ihre Berechnung nach Orontius Finaeus gelehrt werden.

 

Den Unterricht des Vaters besuchte auch Bartholomäus, der zweite Sohn, der nicht nur den Unterricht vom Vater zeitweilig übernahm, weil dieser durch Feldvermessertätigkeiten oft verhindert war, sondern der auch die astronomisch-kosmographischen Vorträge des Vaters zum Zwecke seines eigenen Unterrichts redigierte und im März 1563 als Breves in Sphaeram, als Kompendium über die Kugel in Köln herausgab. In diesem Kompendium kündigte sich in einem kurzen Bericht über die Weltschöpfung an, daß Gerhard Mercator intensiv an einer - seiner! - Kosmographie arbeitete. Er plante damals schon eine mehrbändige Kosmographie, deren !letztes Buch er 1569 als erstes: Chronologie, das ist eine höchst genaue Darstellung der Zeitläufte von der Erschaffung der Welt an bis zum Jahre 1568, herausgab, das nicht nur seinen trefflichen Sinn für vergleichende Geschichte - an astronomischen Daten orientiert - , sondern zugleich seine erstaunliche Belesenheit und sein außerordentliches Bildungsstreben dokumentierte: Als die Bibliothek der Familie Mercator 1604 versteigert wurde, enthielt sie wenigstens 193 theologische, 479 historische, 220 mathematische, 33 medizinische und 103 sonstige Bücher - vorwiegend philosophischen Inhalts. In der Redaktion "letzter Hand" stellt die Weltchronik die III.Abteilung seiner Kosmographie dar; 1596 geriet sie mit wenigen Passagen in den Römischen Index der Verbotenen Bücher

Im August des gleichen Jahres (1569) veröffentlichte er die großformatige (212 cm x 134 cm) Neue erweiterte Beschreibung des Erdkreises, besser an die Bedürfnisse der Seeleute angepaßt, mit der er sich einen Platz unter den Unsterblichen dieser Welt verschaffte. Mit der Karte ad usum navigantium war es Gerhard Mercator gelungen, die Loxodromenbüschel seiner Weltkugel von 1541 so in die plane Ebene zu übertragen, daß aus den doppeltgekrümmten Kursgleichen der Kugel gerade Linien der Kartenebene wurden. Er leistete dies mit einer einfachen, außerordentlich präzisen geometrischen Konstruktion, die sich ausschließlich der elementaren Ähnlichkeitslehre des 6. Buches der Elemente des Euklid bedient. Seine Konstruktion war dabei so genau, daß eine Rekonstruktion der 1°-Breitendifferenzen von 66°S bis 79°N auf dem 350. Längengrad (10°W) mit den Mitteln der heutigen loxodromischen Trigonometrie den in Basel in bestem Zustand erhaltenen Originaldruck nur um maximal 6% übertrifft. 
Die Hauptaufgabe der navigatorischen Kartographie besteht darin, ein Kugelviereck so in ein ebenes Viereck abzubilden, daß dabei die Kugelloxodrome in eine Gerade übergeht. 


Marinos von Tyros  konstruierte um 100 n.Chr. eine Plattkarte der damals bewohnten bzw. bekannten Welt, die später das Vorbild aller Seekarten wurde. Er bildete die Erdkugel so auf einen Zylinder durch die Breite von Rhodos ab, daß ein rechteckiges Netz der Längen- und Breitenkreise der Kugel entstand. Hätte er den Zylinder die Erdkugel im Äquator berühren lassen, so wäre eine quadratische Plattkarte enstanden. 
Geht der abbildende Zylinder durch den Breitenkreis von Oslo, so stehen jeweils die 10°-Längendifferenzen in der Breite Oslos zu den 10°-Äquatorlängen  im Verhältnis  von 1 zu 2. (Oslo liegt ungefähr auf der Breite 60°N.) 
Will  man der Schiffahrt eine Navigationskarte zur Verfügung stellen, in der die Kurse geradlinig abgesetzt werden können, so müssen daher die Breitendifferenzen in dem selben Maße vergrößert werden, wie die Breiten ihrer Länge nach zu vergrößern sind, wenn sie alle die Länge des Äquators besitzen sollen. (In der  Oslo-Breite muß daher alles verdoppelt werden.) 
In der Legende Inspectori salutem, dem geneigten Leser zum Gruß, drückt Gerhard Mercator diese Erkenntnis nach jahrzehntelanger Ausforschung der Seekarten wie folgt aus: 
Wir haben daher die Breitengradabschnitte zu beiden Polen hin allmählich vergrößert im Verhältnis zum Anwachsen der Breitenparallelen über das Maß hinaus, welches sie zum Äquator haben.

 
In zwei Legenden dieser Karte zeigte Gerhard Mercator auch die so dringend erwünschten Lösungen der nautischen Hauptaufgaben an, - aber selbst John Dee, inzwischen navigatorischer Berater der Londener Muscovy Company, verstand noch 1570 die glänzende Konstruktion seines ehemaligen Löwener Gesprächspartners nicht; und  25 Jahre später mußte Gerhard Mercator resignierend feststellen, daß niemand seine Konstruktion und erst recht sein Anliegen verstanden hatte, eine Weltkarte ad usum navigantium, d.h. als Seekarte zu entwerfen. Von dem nach 1590 gelungenen Paradigmenwechsel der englischen Mathematiker in der "Navigationskunst", der im Übergang von der Konstruktion zur Rechnung bestand - und erst bei Leibniz weitere hundert Jahre später seinen Abschluß fand - , hat er nichts mehr gehört.
Erst recht hat er nichts gehört von der genialen Leistung seines Londoner Freundes Dee, dem es schon 1556/57 gelang, die Abbildung Dl ® Dj zu berechnen. Die Geschichte der "Meridionalteile", die eigentlich mit Dee's Paradoxall compass aus dem Jahre 1557 beginnen müßte, knüpft mit Edward Wright rund 40 Jahre später an dessen Berechnung der Umkehrabbildung Dj ® Dl an.


In der Geschäftigkeit des Broterwerbs mußte er die großen philosophischen und theologischen Fragen, zu deren Lösung er im Widerstreit der philosophischen Schulen und religiösen Bekenntnisse in erasmianischer Frömmigkeit ausgleichend beitragen wollte, vor sich herschieben. Aber er vergaß sie nicht, wenngleich er sie zuerst einmal nur sporadisch in seinen Briefen ansprach, denn es war ihm zeitlebens eine "heilige Verpflichtung, den verborgenen Entscheidungen und Absichten Gottes mit Hingebung nachzuforschen, die sich auf seine ihm zugesprochene unerforschliche Weisheit und Erhabenheit beziehen und die er sich durch sein Wort uns zu enthüllen herabgelassen hat." (Kosmographische Gedanken I.1: Die Absicht der gesamten Weltbeschreibung) So dachte der Theologe in ihm, der bereit war, der Weltphilosophie - zum Eckstein seines Lebens geworden - die neue "philosophia Christiana" im Sinne des Erasmus von Rotterdam und der Einfachheit der Devoten entgegenzustellen. "Was aber ist die Philosophie Christi, die er selbst eine Wiedergeburt nennt (Jo 3,3) [Mt 19,28; Tit 3,5] anders als die Erneuerung der gut geschaffenen Natur?" (Erasmus, Vorreden zum Neuen Testament, Aufruf). 

Dieses erasmische Denken aus der Gutheit der Schöpfung und ihrer Wiedergeburt in Christus, dem er das 1.Buch der I.Abteilung seiner Kosmographie unter dem Titel Kosmographische Gedanken über die Erschaffung der Welt widmete (1593), veranschaulichte Gerhard Mercator schon 1573 in einem naturmetaphysischen Weltsymbol, das er einem Brief an Johannes Vivianus aus Valenciennes beifügte (Rekonstruktion und Abschluß 1996 von mir). 
 

Das Weltsymbol Gerhard Mercators: 

Das Schema trägt die Umschrift: Diesen Kreis umfaßt und schließt ein unermeßlich großes Dreieck in sich: Gott,  die Macht des Vaters, die Weisheit des Sohnes und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. [Im Original fehlt das trinitarische Dreieck.]
Die dreizeilige Inschrift ist Jak 1,17 nachgebildet: Von oben stammt alles Gute, abkünftig vom Vater allen Lichtes und Quell alles Guten
Es ist mit der folgenden  Unterschrift versehen: Je weiter die Gestirne vom Zentrum entfernt sind, desto edler und wohltätiger sind sie. Alle aber übertrifft der Feuerhimmel [das Empyreum], jener luftige Hauch, in seiner Vortrefflichkeit des ewigen Lebens. Dies alles lehrt die Anordnung der Welt wie auch der verständige Grund dieser Ordnung: Es ist das Beste, das sich in die Höhe aufschwingt.

Kosmographische Gedanken 2.8: Über den Himmel sagt er daher: Deshalb halte ich das für äußerst absurd, was die Astrologen über die Schlechtigkeit des Saturn und des Mars sich einreden.

 
In der Mitten der Welt schuf Gott im Anfang aus dem Nichts die chaotische erste Materie, aus der nach Gottes Plan alles in der Ordnung des Unten, des Elementarischen, und des Oben, des Himmlischen, herausfließt. Die Erde versammelte sich der Schwere zufolge in der ruhenden Mitte der Welt, umgeben von den Sphären des Mondes und der allesbelebenden Sonne - diese umgeben mit den Sphären ihrer Trabanten Merkur und Venus - wie den Sphären von Mars, Jupiter und Saturn. Letztere bilden für Gerhard Mercator das planetarische Äquivalent für den durch die Dreiheit von Wollen (Mars), Fühlen (Jupiter) und Denken (Saturn) nach der Lehre des hl. Augustinus und der Kabbala strukturierten Geist. 

Dem Herausfließen aller Dinge aus dem Chaos entspricht - umgekehrt - der Einfluß, den das Himmlische auf das Irdische nimmt. In der heiligen Philosophie der Pythagoreer symbolisiert der Buchstabe des Pythagoras, das Y, das Zusammenfließen des Himmlischen und des Irdischen in éine substantielle Einheit - dargestellt mit Hilfe des Korridors vom Feuerhimmel zur Welt des Elementaren. Der Sonnenmetaphysik der Antike wie der Väterzeit entsprechend, die mindestens seit Cicero und Vitruv mit der Umkreisung der Sonne durch Merkur und Venus einhergeht, setzt er die Sonne in die Mitte der planetarischen Welt, wie das Herz im Menschen ein wenig höher als den wahren Nabel des Weltalls, die Erde. Die Ansichten des Nicolaus Copernicus hat er zwar zur Kenntnis genommen, keineswegs aber akzeptiert - und mit den ihm nicht bekannt gewordenen (späteren) astronomischen Ansichten Tycho Brahes hat sein metaphysisches Weltsymbol nichts zu tun. 

In diesen Jahren arbeitete er intensiv an den Karten der Geographie des Ptolemäus, die er "im Sinne des Autors wiederhergestellt und verbessert" im Jahre 1578 herausbrachte. Das Echo auf diese Veröffentlichung führte 1584 zu einer erneuten Herausgabe des Kartenteils, nunmehr aber mit den acht Büchern der Geographie des Ptolemäus (nach Willibald Pirckheimer) verbunden. Obgleich schon 1567 die älteste Tochter Emerantia und 1568 der zweite Sohn Bartholomäusverstorben waren, und Gerhard Mercator inmitten einer starken Schaffensperiode 1586 seine Frau Barbara und 1587 seinen ältesten Sohn Arnold verlor, zerbrach er in seiner christlichen Demut nicht an diesem Schicksal: in ungebrochener Schaffenskraft und in schneller Folge publizierte er 1585 die erste Teillieferung seiner Karten der "neueren Geographie": 16 Karten von Frankreich, 9 von den Niederlanden und 26 von Deutschland, und 1589 die zweite mit 16 Karten von Italien, 2 vom Balkan und 4 von Griechenland. 
 

Seiner - nur spärlich erhaltenen - Korrespondenz in dieser Zeit entnehmen wir sein unentwegtes und außerordentliches Interesse an den großen theologischen Fragen seiner Zeit. Mit seinem Schwiegersohn Johannes Molanus trat er 1575 in längere - erasmianisch bestimmte - Auseinandersetzungen über die Freiheit des menschlichen Willens im Hinblick auf die Lehre von der göttlichen Vorsehung (der Prädestination) ein; es deutete sich an, daß er das angesprochene Thema ausführlich in einem Kommentar zum Römer-Brief des hl. Paulus behandeln würde; dieser Kommentar - 1592 fertiggestellt - ist nur als Handschrift auf uns gekommen. Als Molanus1576 in Bremen in einen Streit über die Lehre vom Abendmahl hineingezogen wurde, schrieb er in der Gesinnung des Erasmus von Rotterdam, daß die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi ein zu großes Mysterium sei, als daß es gemeinhin alle verstehen könnten. Indem er die Lehre des Thomas von Aquin ablehnte und das Geheimnis des Altarsakramentes in eher augustinischer Weise auffaßte, vertraute er den Worten Christi: In diesem Geheimnis hilft das Fleisch nichts, es ist der Geist der das Leben schafft. Mit dem friesischen Rechtsgelehrten Albada diskutierte er über den paradiesischen Lebensbaum und über die Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Hier und auch in einem seiner letzten großen Briefe an den Prediger Wolfgang Haller aus Zürich vom 31.August 1592 - 1590 hatte er einen ersten, heftigen Schlaganfall erlitten - stoßen wir wieder auf die Unterscheidungen des Weltsymbols: ein anderes ist die lebenspendende Seele (spiritus), ein anderes die Gott-ähnlich-machende unsterbliche Seele (mens). Kurz zuvor hatte er Haller eine ?eigenhändige Abschrift seines 210 Seiten umfassenden Römer-Brief-Kommentars geschickt, mit dem er - erasmianische Gedanken der Vermittlung zwischen den Bekenntnissen vertretend - wohl auch der in Zürich wie in Duisburg praktizierten kalvinschen Lehre von der Vorsehung widersprechen wollte. Die entscheidenden Aussagen Gerhard Mercators zur Lehre von der Ebenbildlichkeit (Imago Dei) aber finden wir in seinen Kosmographischen Gedanken I.II.17 - in einem Kapitel, das 
 

  - wie das Schlußkapitel 2.19 - in seiner Gesamtheit 1607 in den Römischen Index der Verbotenen Bücher geriet. In seiner Korrespondenz mit Heinrich, Graf Rantzau von Itzehoe, der gerade ein Werk über die Astrologie als Wissenschaft publiziert hatte (1585), diskutierte er Fragen der Astrologie und ihrer Mantik . Trotz Alter und Krankheit arbeitete er unermüdlich: Mit 80 Jahren gab er 1592 eine überarbeitete Fassung seiner Evangelienharmonieheraus, die 1569 noch als Teil seiner Chronologie erschienen war. Das nahe Lebensende befürchtend, schloß er 1593 seine philosophisch-theologischen Überlegungen zur Genesis ab. Ein zweiter Schlaganfall im Herbst des Jahres 1593 behinderte die Fertigstellung der übrigen vier "spekulativen" Bücher des Atlas-Buches, in denen er astronomische (I.2) und astrologische (I.3) Fragen zu behandeln und eine naturphilosophische Elementenlehre (I.4) sowie eine "theoretische" Geographie (I.5) aufzustellen gedachte: diese fünf Bücher sollte der sagenhafte mauretanische König Atlas (jr) titeln. 

Angesichts der Krankheit Gerhard Mercators arbeitete die "Kartographische Anstalt Mercator" mit Hochdruck an der dritten Lieferung der Karten der neuen Geographie. Als Gerhard Mercator ganz ruhig im Herrn kurz nach 11 Uhr vormittags am 2. Dezember 1594, als er 82 Jahre, 37 Wochen und 6 Stunden gelebt und Urenkel gesehen hatte, entschlief, hatten sein jüngster Sohn Rumold und seine Enkel den dritten Teil in einem nahezu abschließenden Umfang fertigestellt: Die Karten vom Nordpol (1), von Island (1), von den Britischen Inseln (16), von Skandinavien (1), von Dänemark (4) und von Osteuropa (6) hatte Gerhard Mercator noch selbst zuende gebracht, Rumold steuerte seine Weltkarte von 1587 sowie eine Europakarte bei, die Söhne Arnolds aber stachen die letzten drei Erdteilkarten nach der Weltkarte von 1569; einige wenige regionale Karten fehlten noch. 

Kaum ein halbes Jahr nach dem Tod des Vaters faßte Rumold alle Lieferungen der neuen Geographie mit insgesamt 107 Karten zum "Atlantis Pars altera", zum zweiten Teil des Atlas zusammen. Den ersten Teil des Sammelwerkes stellte er aus einem Vorwort zum Atlas, einer Genealogie der Atlantiden

und den Kosmographischen Gedanken zusammen, vorgebunden die Lebensbeschreibung des Walter Ghim nebst zwei Briefen, etlichen Nachrufen und der Widmung an die klevischen Herzöge Wilhelm und Johann Wilhelm

Das Album titelte Rumold - damit keineswegs die Absichten des Vaters treffend - als

ATLAS sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura
als 
ATLAS oder Kosmographische Gedanken über die Erschaffung der Welt und ihre kartographische Gestalt.
Da die Kupferplatten der gesamten II.Abteilung der Kosmographie Gerhard Mercators (der "alten": II.1:1/2 wie der "neuen" Geographie: II.2:1/3) nach dem Tode Rumolds in den Besitz des Amsterdamer Kartographen und Verlegers Jodocus Hondius übergingen, trat der ATLAS Gerhard Mercators 1606 von Amsterdam aus mit immer wieder neuen und erweiterten Auflagen seinen Siegeszug in die Welt als Mercator-Hondius-Atlas an. 

1633ff. wurden die Kosmographischen Gedanken den Atlanten nicht mehr beigedruckt, und seit 1638 enthielten die Hondius-Atlanten weder originale Mercator-Karten noch im Titel den Namen Gerhard Mercators - allein der Typus - sein Typus - ATLAS - überdauerte die Zeiten.
Wenngleich sein Titelheld wieder der Sage anheimgefallen ist und fälschlich oft mit dem Großvater Atlas - so Gerhard Mercators Ableitung nach Diodor - identifiziert wird, die Geschichte der Kartographie kennt Gerhard Mercator als einen ihrer ganz Großen: Er läutete nach Ptolemäus das zweite Zeitalter der wissenschaftlich betriebenen Kartographie ein.
Die Geschichte der Mathematik kennt ihn kaum, denn dazu sind seine Leistungen vielmehr praktischer denn theoretischer Natur gewesen - obgleich die geometrische Methode des Kartenentwurfs von 1569 wie seine damit einhergehende Vermutung zum Problem der "Quadratur des Kreises" seine Erwähnung wohl verdienten. 
Seine theologischen Überzeugungen in der Folge seines devotisch-erasmianisch-ausgleichenden wie schöpfungs-optimistischen Denkens lassen uns am Ende mit Arthur Breusing - dem Initiator der "deutschen" Mercatorforschung (1869) - sagen: Er hat sich in der Wissenschaft einen großen Namen erworben, aber es ist doch auch ein köstlich Ding, daß wir sagen können: "Er ist ein frommer Mann gewesen.".

Ohne Zweifel, denn zwei Motti beherrschten sein Leben, das eigene Motto: 


"Nur das Hervorragendste ist das Beste der Welt

und das des Ignatius von Loyola
"Meine Tagewerke dien[t]en alle der größeren Ehre Gottes.


Literatur

Averdunk, H. und Müller-Reinhard, J.
Gerhard Mercator und die Geographen unter seinen Nachkommen
Ergänzungsheft zu Petermanns Mitteilungen No. 182
Gotha 1914

Umfassendste Zusammenstellung bis 1994 in: 
Watelet, M.: 
Gerardus Mercator Rupelmundanus
Antwerpen 1994

Duisburger Mercator-Studien 1-3, 
Bochum 1993-1995

Krücken, W. und Milz,J.: 
Gerhard Mercator. Weltkarte AD USUM NAVIGANTIUM Duisburg 1569
Duisburg 1994

Krücken, W.: 
Wissenschaftgeschichtliche und -theoretische Überlegungen zur Entstehung der Mercator-Weltkarte 1569 AD USUM NAVIGANTIUM
Duisburger Forschungen Bd. 41, S.1-92 

Gerhard Mercator
ATLAS. Kosmographische Gedanken über die Erschaffung der Welt und ihre kartographische Gestalt
hrgg. von W.Krücken, Duisburg 1994

Gerardus Mercator - Begleitband zur Ausstellung vom 4.9.1994 bis zum 31.1.1995, 
Duisburg 1994