6. Arno Peters und die "Revolution der Kartographie" 1973
oder:
Das Mißverständnis
Der Historiker Amo Peters hat im Jahre 1973 auf vermeintliche "Schwächen" der Mercator-Abbildung aufmerksam gemacht und behauptet, die Mercator-Karte des Jahres 1569 würde in bestechender Weise das koloniale Weltbild seit der Entdeckung Amerikas 1492 darstellen:
"Ein Jahr nach der Entdeckung Amerikas teilte der Papst die außereuropäische Welt unter die mächtigsten Staaten Europas auf. 
Schon das stimmt nicht, denn wer wollte das damalige Portugal zu den 'mächtigsten Staaten der Welt' zählen? Im übrigen wurden am 7.6.1494 im Vertrag von Tordesillas nur die entdeckten überseeischen Gebiete zwischen den Spaniern und den Portugiesen nach einem Schiedspruch des Papstes von einander abgegrenzt. Die 'Molukken-Frage' z.B. wurde erst sehr viel später entschieden: als die erste Weltumseglung völlig neue Aspekte ins Spiel gebracht hatte.
Hundert Jahre später vollendete Mercator seinen Atlas
I.Auflage: 1595 
Um diese Zeit war die Europäisierung der Erde schon weit fortgeschritten, und so war sein Atlas erster Ausdruck des geographischen Weltbildes im Zeitalter des Kolonialismus."
Vermutlich hat A.Peters noch nie den Mercator-Atlas zu Gesicht bekommen, denn er macht nicht nur die Weltkarten-Abbildung Gerhard Mercators für "sein europazentiertes Weltbild", sondern auch das - wenn man so will - Überwiegen der Europakarten in seinem Atlas von 1595 verantwortlich - er ?zählte die Karten von 1585: 51 und setzte sie ins Verhältnis zu ?90 Atlaskarten (korrekt waren es 107) , - aber die Wahrheit ist, (1) daß keine Karte im Atlas-Werk von 1595 in Mercator-Projektion, d.i. in winkeltreuer Zylinderabbildung, dargestellt ist, und (2) daß im Atlas von 1595 außer den Erdteilkarten und den 51 "mitteleuropäischen" Detailkarten nur noch Europa-Detail-Karten (Nord-, Ost- West- und Südeuropakarten) vorkommen: Der Atlas von 1595 ist also im wesentlichen ein Europa-Atlas.
- Aber auch die Welt- und Seekarte von 1569 kommt im Atlas nicht vor. -
Gerhard Mercator hat völlig zutreffend gewußt, daß "seine" neue Abbildungsart von ihm AD USUM NAVIGANTIUM, zum Gebrauch für der Seefahrer entworfen worden ist.

Zu behaupten, Gerhard Mercator habe seinen methodischen Entwurf "europazentriert" mißverstanden, zeigt einerseits, daß A.Peters das nautische Problem des 15. und 16. Jahrhunderts in seinen historischen Bezügen völlig unverstanden geblieben ist, d.h. daß er die Abbildungskonstanten der Karte von 1569 überhaupt nicht erkannt hat, und andererseits, daß er die Struktur des Atlas-Werkes nie zutreffend zur Kenntnis genommen hat.

Gerhard Mercators Entwurf von 1569 ist eine normalachsige winkeltreue echte Zylinderabbildung der Welt mit dem Äquator als einzigem abweitungstreuen Breitenkreis;
eine "europazentrierte Mercator-Karte" würde gewiß einen mittleren europäischen Breitenkreis als abweitungstreu besitzen und damit die Welt "unterhalb" mehr oder weniger deformiert - unter welcher Abbildungsart auch immer - darstellen:

A.Peters wählt für seine Weltkarte einen solchen eurozentrischen Breitenkreis und muß damit inkauf nehmern, die südliche Welthälfte entsprechend zu verschlimmbessern.
Wer aus der Legende Inspectori salutem (vgl. das Faksimile des Jahres 1994, Legende 03) herausliest, daß die "wahre Entfernung" der Orte eine andere sei als die "loxodromische" - bei Mercator "direktionale" genannt -, der irrt. In der gleichen Legende sagt Gerhard Mercator mit der bei ihm bekannten Vorsicht: "... daß die Gestalten der Länder, wie sie auf der Kugel
erscheinen - soweit dies überhaupt möglich ist - beachtet werden." Gerhard Mercator weiß, daß nicht beides zugleich zu haben ist: Winkeltreue und Flächentreue, aber auch nicht Flächentreue und "überall"-Längentreue - wie die Peters-Karte vorgaukelt.

Das weiß auch der Chefkartograph der Oxford Cartographers, die die Peters-Karten herausgegeben haben:

"Wer einmal versucht hat, die Schalen einer Apfelsine zu einer glatten Fläche zusammenzufügen, kennt das Problem, vor dem alle Kartographen stehen: Die grundsätzliche Unmöglichkeit der verzerrungsfreien Übertragung einer Kugeloberfläche auf die Ebene. Formtreue,
Ähnlichkeit 
Entfemungstreue und Winkeltreue gehen dabei notwendig verloren
Das ist nicht korrekt: 
(a) es gibt flächentreue Abbildungen (vgl. Lamberts und Mollweides Abbildungen, Ptolemäus' zweite Abbildung = Stab-Werner-Bonne; ...
(b) es gibt winkeltreue Abbildungen (Mercators Zylinderabbildung oder Hipparchs stereographische Abbildung); 
(c) es gibt beliebig viele mathematische Abbildungen = Funktionen, die auf winkel- bzw. flächentreue Karten führen, 
- aber es ist nicht möglich, Karten zu entwerfen, die zugleich winkel- und flächentreu sind; einzelne Kurven können dabei sehr wohl längentreu abgebildet werden (vgl. z.B. den abstandstreuen Kegelentwurf mit einem abweitungstreuen Breitenkreis = l.Ptolemäus-Abbildung, oder den winkeltreuen Kegelentwurf mit einem abweitungstreuen Breitenkreis). 
Aber es ist möglich, drei andere Qualitäten zu erhalten: 
nicht zu zerstören?
Flächentreue, Achstreue und Lagetreue.
 
  • Achstreue: die Meridiane sind Parallelen;
  • Lagetreue: die Breitenkreise sind Parallelen, so "daß Orte gleicher Sonneneinstrahlung [welche existentielle / geographische Bedeutung liegt damit vor?] stets in einer parallel zum Äquator verlaufenden Gerade liegen."
Der Peters-Entwurf kann danach also nur als flächentreue Zylinderabbildung realisiert werden. Ihr "klassischer" Vorgänger ist die LAMBERT-Abbildung, wenn man einmal von der Vermutung absieht, daß der Peters-Abbildung die Gall-Abbildung zugrunde liegen soll..

Die Peters-Rede von der "verzerrungsfreiesten Abbildung" ist solange unbestimmt, wie nicht gesagt wird, welches Attribut in welchem Sinne der Abbildung gemeint ist. 

  • Die Winkelsche Weltkarte - eine "Misch"-Abbildung - kann genauso gut als eine "verzerrungsfreieste" Karte bezeichnet -werden, wobei das Minimum der mittleren Längenverzerrung - aus vorausgesetzten Definitionen - genau bestimmt werden kann: EA =0.3280 genau dann, wenn der abbildende Zylinder den Globus in der Breite von ±50°27' durchsetzt. Die Peters-Sprache kennt eine so scharfe (mathematische) Argumentation nicht!
Es ist eine Binsenweisheit, daß Karten-Verzerrungen sich bei einer Projektion in dem Maße verringern, wie sich der wiedergegebene Ausschnitt der Erdoberfläche verkleinert: Aber dennoch ist auf keiner Karte der Erde realisierbar - auch auf der Peterskarte nicht - , daß diese Karte beliebig län-
gentreu ist.
 
Wir erinnern uns:
Ein beliebig-längentreues Abbild der Kugel ist nur die Kugel selbst: Das berühmte theorema egregium von Gauß beweist, daß längentreue Abbildungen das Gaußsche Krümmungsmaß erhalten: Die Einheitskugel hat die Krümmung l, die plane Ebene aber hat die Krümmung 0.
Im Peters-Atlas wird jeder Karte die Flächentreue zugesprochen - l cm2 =
6000 km2 - , aber auf jeder Kartenseite soll auch dasselbe "mittlere" Längenmaß gelten: 1cm = 80 km; das "mittlere" Flächenmaß beträgt demnach 6400 km2.

Die 5°-Äquator-Abweitung beträgt real rd. 555.555 km; 

  • auf der Peters-Karte K 10/11 beträgt die 5°-Längendifferenz zwischen 160°W und 165°W 33.5 mm oder rd. 268 km; 
  • auf der Karte K 32/33 gilt entsprechend für 20°W bis 15°W eine Differenz von 41.0 mm oder rd. 328 km.
Trau schau wem.

Mit welchen Mitteln A. Peters Tatsachen vorspiegelt, erkennen wir wie folgt:
 


Klicken Sie das Bild an (61 kB).
(Den induzierten Flächenvergleich Grönland:Australien bespreche ich hier nicht.)
.
Auf der Weltkarte von Peters sind die Strecken Kairo-Kapstadt und Kairo-Stolbowoi (Neusibirische Inseln) "gleichlang". Es sieht so aus, als hätten beide Orte von Kairo aus die gleiche geradlinige (orthodromische?) Entfernung (auf den betreffenden Großkreisen gemessen). 

Rechnet man nach, so stimmen beide orthodromische Entfernungen im wesentlichen überein: 

    Nur, für Kairo-Kapstadt fallen Loxodrome und Orthodrome zusammen, für Kairo-Stolbowoi gaukelt die Peters-Gerade den Großkreis vor.
Betrachten Sie einfach die Folge der Bilder:

Kapstadt-Kairo 

dito: loxodrom

dito: flächentreu

Kairo-Stolbowoi

dito: loxodrom

dito: flächentreu


Formulieren wir umgekehrt unsere Kritik an A.Peters mit Gerhard Mercator:

Auf die Weltkarte von Peters trifft (wieder) die Kritik Gerhard Mercators aus dem Jahre 1569 zu - damals auf die Plattkarten der Seeleute bezogen: 
 

Wenn drei Orte auf derselben Seite des Äquators gelegen sind, so daß sie ein Dreieck bilden, und wenn die beiden äußeren zum mittleren in bezug auf Richtung und Entfernung gegeben sind, so ist es ein Ding der Unmöglichkeit, daß auch diese beiden ihre gehörige Lage zueinander richtig erhalten.


Um diese Verhältnisse in Ordnung zu bringen, erfand Gerhard Mercator seine Abbildungsart, von seiner Zeit Unbegriffen, von vielen noch heute unbegriffen: AD USUM NAVIGANTIUM.

Ich erspare Ihnen und mir in diesem Zusammenahnge anzuführen, was ich alles in Universallexika, aber auch in Handbüchern der Geographie über den Mercator-Entwurf von 1569 gefunden habe: Haarsträubendes!
Aber daß ihm 400 Jahre später daraus ein ideologischer Strick gedreht werden sollte, weil sein Anliegen immer noch in manchen Köpfen Unbegriffen ist, das konnte niemand ahnen, - bis zum Jahre 1973, dem Jahr des "größten Fortschritts der Kartographie nach 400 Jahren".

Der Waschzettel des Peters-Atlas enthält bezeichnende historische Fehler: 

Das Atlas-Werk Gerhard Mercators sei nach dem Titanen Atlas benannt 

- falsch: es war - nach der Theologie der Atlantiden - Atlas, der Enkelsohn des Uranos, ein mauretanischer König - der Sage nach der Erfinder der Astrologie (wie im Mythos die Astronomie damals noch hieß), der erste Erbauer eines Schiffes -, dessen Bildung, Humanität und Weisheit solchen wohl ansteht - nach Gerhard Mercator -, die eine Kosmographie - wie er - zu schreiben trachten; 
von den 90 Karten des Mercator-Atlas zeigten 51 Karten Mitteleuropas.
- falsch: der Atlas von 1595 enthielt in der ersten - immer noch unvollständigen - Gesamtausgabe 107 Karten, davon 5 Gesamtkarten, die 
a) nicht von Gerhard Mercator stammten - sondern von seinem jüngsten Sohn und von seinen Enkeln - und nicht Europa thematisierten. ("Europazentriert" schließt doch wohl Ost-, Süd-, West- und Mitteleuropa ein? )
b) Alle andere 102 Karten  waren Detail-Karten Europas, - die 51 Karten von 1585 waren dabei die sozusagen "mittel-europa-zentrierten": Frankreich - Belgien - Deutschland.

Zu einem Weltatlas "baute" erst Jodokus Hondius 1606 ff die Mercator-Vorgaben so aus, daß am Ende von den 470 - immer wieder neu redigierten - Karten nur noch wenige von Mercator, seinen Söhnen und Enkeln stammten. 1638 verschwand endgültig auch der Name Mercator aus dem Titel des "ersten" Atlas.

Daß A.Peters "nach gründlichem Studium der mathematischen Grundlagen der Mercatorkarte
gemeint sind offenbar die der Weltkarten-Abbildung von 1569 ...
die Unhaltbarkeit des herkömmlichen kartographischen Lehrgebäudes erkannt hat", muß doch stark angezweifelt werden: A.Peters hat z.B. nicht erkannt, daß die Welt- und Seekarte nicht Gerhard Mercators "kartographisches Lehrgebäude" abgibt: 
  • Keine einzige Karte des Atlas-Werkes von 1595 ist nach der Methode von 1569 konstruiert. Jede der 107 Karten ist genau in der Projektionsart erstellt worden, die für die Darstellungszwecke (bestens) geeignet erschien: 
  • Dieses Prinzip macht "ein kartographisches Lehrgebäude" aus, nicht eine völlig weltfremde Ideologie, die in ihrer Kritik an Gerhard Mercators Entwurf von 1569 völlig verfehlt ist.
Die Weltkarte von Peters kann überhaupt keine "Alternative zu dem altgewohnten Zerrbild" Gerhard Mercators sein: 
  • A.Peters hat weder die nautischen noch die mathematischen Prinzpien des Entwurfs von 1569 noch die kartographischen Grundlagen des Atlas von 1595 verstanden.
Die Welt- und Seekarte Gerhard Mercators dagegen sollte nautischen Zwecken dienen: 
  • Kursbestimmungen, 
  • Positionsbestimmungen, 
  • Entfernungsbestimmungen (im loxodromischen Maß), 
  • keinesfalls Flächenvergleichen. 
  • Der Atlas sollte die bis dato korrektesten Abilder der Erde mit dem größten Anspruch an Sorgfalt und Qualität liefern: Suprema mundi optima.