Navigatorische Probleme
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5. Nun ist aber die Weltkarte 1569 nicht von ihrer Anwendung als Seekarte - AD USUM NAVIGANTIUM - zu trennen.

Ihre Anwendung belegt u.a. auch, daß Gerhard Mercator sich seiner Konstruktion vollkommen sicher war. - Daß er keine "exakten Beweis" für seine Konstruktion finden
konnte, war nicht seine Schuld: 

  • Es gibt keinen mit Lineal und Zirkel vorgehenden Beweis. (Lindemann 1882) -


Im Original der Seekarte denken wir uns mit Gerhard Mercator in den Punkten (0° | 0°) bzw. (0° | 75°) des organum directorium Bindfäden befestigt, mit deren Hilfen wir Winkel zu messen in der Lage sind.

5.1    l. Aufgabe: Kursbestimmung NAB

Gegeben seien die beiden Orte A und B; gesucht ist der Kurswinkel k gegen Nord.
Den ersten Ort, sagen wir A, tragen wir auf dem 0.ten Längengrad seiner Breite jA nach ab. Nachdem wir den zweiten Ort entsprechend den vorgegebenen Längen- und Breitendifferenzen in die Kurstafel eingetragen haben, richten wir den oberen - in (0° | 75°) - oder - je nach Lage von B - den unteren Bindfaden - in (0° | 0°) befestigt - so aus, daß wir mit geeigneter Zirkelöffnung seine Parallelität zum Kurs AB feststellen können. 
Den Kurswinkel lesen wir dann mit Hilfe der Strichrosen gegen Norden ab: 12 Strich gegen Nord = SO = Südosten.
5.2    2. Aufgabe: Bestimmung der loxodromischen Entfernung AB

Gegeben seien die beiden Orte A und B; gesucht ist ihre Distanz in Seemeilen.
 

Der Seemann nennt das in die Mercator-Karte eingetragene Besteck ABF das "vergrößerte Kursdreieck" oder kurz das "Mercator-Dreieck". Wenn auch - wie auf der ganzen Weltkarte - die Richtungen (die "directiones" Gerhard Mercators) als gerade Linien eingetragen werden können, so hat dies - wie wir gesehen haben - von Breite zu Breite eine Änderung des Maßstabes zur Folge. 

Die im Mercator-Dreieck ABF auftretenden Strecken sind daher ihrer Länge nach nicht einfach mit einem überall geltenden Längenmaß zu messen.


Die jetzt zu schildernde Methode Gerhard Mercators, die loxodromische Entfernung zweier Orte dennoch richtig zu messen - er nennt sie die "unfehlbare Methode" - , ist die unserer Ansicht absolut zuverlässigste Nachricht davon, daß Gerhard Mercator - entgegen immer wieder auftretenden Kritikern - die Konstruktion seiner Weltkarte theoretisch und praktisch bis ins letzte Detail verstanden hat.

 Wir tragen die beiden Orte wieder in die Kurstafel ein. Wir kennen oder messen den Kurs gegen Norden: k. Den Breitenunterschied tragen wir auf dem Äquator von O aus ab: C. An OC tragen wir den Kurswinkel k in O an. Wir errichten in C die Senkrechte, die den freien Schenkel des Kurswinkels in D trifft. Die Strecke OD tragen wir von O aus auf dem Äquator ab: E. Die in OE enthaltenen Minuten sind die loxodromische Entfernung von A nach B (in Seemeilen gemessen: l' = l sm = 1852 m). 


Der Beweis derRichtigkeit liegt in dem Satze über rechtwinklige Dreiecke: 

  • Zwei rechtwinklige Dreiecke, die in einem weiteren Winkel übereinstimmen, sind ähnlich. 
Und da der Kurs in beiden rechtwinkligen Dreiecken ABF und OCD
vorkommt, sind beide Dreiecke ähnlich. 

Nach dem 4. Lehrsatz des Euklid (B VI) folgt wieder:
 

AB : OD = AF : OC   Þ   AB =  AF ·.(OD / OD).


Da AF und OC nach Konstruktion aber dasselbe Gradmaß haben, erhält AB das Maß von OE

Der Seemann nennt das am Äquator konstruierte Kursdreieck OCD auch das "wahre Kursdreieck".

Es ist aber auch überzeugend, den Praktiker Gerhard Mercator am Werke zu sehen. 
 

Wenn nämlich ein Kurs nahe bei OST oder nahe bei WEST anliegt, dann ist der Schnitt der beiden Geraden OD' und C'D' nurmehr "schleifend", so daß die Lage von E' unbestimmt wird. 
Daher verfahre man in diesem Falle wie folgt: 
Man nehme (die i.a. jetzt) kleine Breitendifferenz A'F' = G in den Zirkel und tragen sie so oft als möglich auf dem Kurs A'B' ab, sagen wir n mal. 
Bleibt ein Rest G'B', so trage man seine Hälfte nach oben bzw. nach unten um die Mittelbreite m' ab; die damit festzustellende Anzahl der Grade (in G'B') sei g
Die Entfernung von A nach B beträgt dann n · G + g (in Minuten, denen die Seemeilen entsprechen).
Übrigens: Da in seemännischen Bestecken die Breitendifferenz i.a. doch recht klein ist, lehren die heutigen Seehandbücher, daß in der Mercator-Karte die Distanz "nach Mittelbreite" am skalierten Rand der Karte abgesetzt werden soll. Die Konstruktion des "wahren" Kursdreiecks erspart man sich daher mit der Folge kleinerer Ungenauigkeiten in der Distanz.
5.3     3. Aufgabe: Positionsbestimmung

Gegeben seien der Ort A, der Kurs k und die zurückgelegte Strecke s [sm]; gesucht sind die Koordinaten (Länge | Breite) des Zielortes B.

Wir zeichnen A auf der Null-Länge unter der gehörigen Breite ein und legen den Kurs an. Irgendwo auf dem freien Kursschenkel muß B liegen. 
Aber wo?
Nun, wir rechnen die Strecke s in Äquatorgrade s'/60um und tragen s'/60 von O aus auf dem Äquator ab: E. An den Äquator legen wir wieder in O den Kurs k an. Wir tragen die Strecke OE auf dem freien Kursschenkel ab: D. Von D fällen wir das Lot auf den Äquator: C. OC mißt die "gutgemachte Breite(ndifferenz)", die wir in A entsprechend - nach oben oder unten - antragen: F. Die Parallele zum Äquator durch F schneidet den Kurs in B. Die Länge von B erhalten wir, indem wir von B das Lot auf den Äquator fällen.


Aus der Ähnlichkeit von Mercator-Dreieck und wahrem Kursdreieck folgt:
 

AF : OC = AB : OD  Þ  AF = AB · (OC / OD).
Da AB und OD = OE das gleiche Maß haben, stimmen AF und OC wieder in ihren Maßen überein.
 
  • Wenn wir einen Blick in heutige Lehrbücher der Nautik werfen, so treffen wir leicht die Feststellung:
    Damals wie heute ist der Umgang mit der Mercator-Karte derselbe

    Die Nautik lehrt exakt die Verfahren, die Gerhard Mercator an seiner Karten von 1569 als erster ersonnen hat.


Nur noch ganz kurz:

Die Erweiterung der Projektionart Mercators auf die abgeplattete Erde führt C.F.Gauß durch.

1951 macht die NATO die UTM - die Universale Transversale Mercatorprojektion - zur alle NATO-Partner verbindende Kartenprojektion. (Die UTM unterscheidet sich von der bei so genannten "Gauß-Krüger-Projektion" - die 1926 in Deutschland als Grundlage der staatlichen Landesaufnahme festgelegt wurde - genau so wie eine quadratische von einer  rechteckigen Plattkarte: der Gauß-Krüger-Zylinder berührt den jeweiligen Großkreis
des Geoids, der UTM-Zylinder durchsetzt das Geoid.)

Seit wir uns in der Geodäsie der Satellitenmessungen bedienen, liefert die UTM - in leichter Abwandlung entsprechend den Vorschlägen nach Krüger (1912) - das verbindliche Kartenmaterial.