Marinus von Tyrus
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ist der Erfinder der quadratischen - eigentlich: der rechteckigen - Plattkarte. Aber er war Geograph und hatte die Karte nur benutzt, um die damals bekannnte bewohnte Welt, die Oikumene, auf einen Zylinder abzubilden. Er konnte einfach nicht ahnen, daß man seine Karte}1400 Jahre später zu Beginn der Entdeckungsreisen als Seekarte "mißbrauchen" würde.
Der Ärger, den die Steuerleute mit der Plattkarte hatten, war natürlich dadurch entstanden, daß Marinus die zu den Polen hin zusammenlaufenden Meridiane zu Parallelen umfunktioniert hatte. Damit mußte dann, abgesehen von Messungen auf dem Äquator, jede Messung auf einer Breite fehlerhaft ausfallen.

Schaut man sich einen Globus einmal etwas näher an und mißt mit einem Papierstreifen auf dem Äquator die Distanz - z.B. vom 0°- bis zum 20°-Meridian, so kann man in der Höhe von Oslo (bei 60° N)  damit vom 0°- bis zum 40°-Meridian messen. (Der winzige Unterschied zwischen der geraden Papierkante und dem gekrümmten Breitenkreis durch Oslo stört nur wenig!) 

Das heißt aber doch: will man auf der Höhe von Oslo die Meridiane von 0°, 10°. 20° usw. zu Parallelen geradestecken, so muß man die entsprechenden Breitenabschnitte verdoppeln. - Ähnliches entsprechend auf jeder Breite. - Da die Breitenkreise auf einer Marinus-Karte ihren
korrekten Abstand vom Äquator behalten - man sagt, sie sei "abstandstreu" -, entsteht auf diese Weise ein quadratisches Netz von Längen und Breiten.

Die gelehrtesten Köpfe dachten zu Beginn des 16. Jahrhunderts angestrengt über eine Lösung dieses Problems nach, aber man mußte noch bis zum Jahre 1569 warten, da Gerhard Mercator eine Lösung der Aufgabe fand, die abstandstreue Plattkarte in eine "winkeltreue" Plattkarte abzuändern. (Man sagt, eine Karte sei "winkeltreu", wenn der Winkel zwischen zwei Tangenten an die Kugel durch einen gleich großen Winkel [zwischen Geraden] in der Karte
abgebildet wird.)

Klar wurde ihm die Lösung, als er begann, selber bessere Plattkarten zu zeichnen. Als er sich nämlich anschaute, wie Marinus seine quadratische Karte schon zu einer rechteckigen umfunktioniert hatte, weil er den Zylinder nicht mehr einfach um den Äquator spannte, sondern ihn durch die Kugel - senkrecht zur Äquatorebene - durch den Breitenkreis von Rhodos, Cadiz und Gibraltar (36° N) hindurchgehen ließ, da fielen ihm die Schuppen von den Augen: Hatte er doch im Selbststudium bis zum 6. Buche des Euklid die Ähnlichkeitslehre kennengelernt! Und sind nicht die beiden Dreiecke MDE und EFG ähnlich? 

Oder sieht es nur danach aus? 

Es sieht leider nur danach aus: "Richtig" ähnlich wären sie, würde z. B. der Winkel bei F genauso ein rechter sein wie der bei D. Wenn man aber die Winkel a z. B. nur 1° groß wählt, dann unterscheiden sich die Winkel bei D und F gerade um  0,5°.   [Beweis? Siehst Du ein gleichschenkliges Dreieck?]

Das Großartige an der Überlegung, die Gerhard Mercator nun anstellte, ist dies, daß er sich mit dem "Ungefähr" der Ähnlichkeit seiner Konstruktion zufrieden gab, wenngleich ihm das nicht behagte, und er das Gleichheitszeichen zwischen den Verhältnissen mutig durch ein Ungefährgleichzeichen ersetzte:
 

  • MD : ME » EF : EG


Aber was wollte er denn machen? Er konnte doch nicht wissen, daß erst im Jahre 1882 ein deutscher Mathematiker namens Lindemann beweisen würde, daß bei seiner Konstruktion mit Zirkel und Lineal niemals ein Gleichheitszeichen herauskommen würde.

Wenden wir ein wenig Termalgebra auf diese Ungleichung an - alle Streckenlängen sind positiv - und Rechnen mit Brüshen, so erhalten wir am Ende:
 

  • EG » (ME / MD) · EF


Wir haben oben gesehen, daß der von den Meridianen in der Breite von Oslo 

herausgeschnittene Breitenkreisabschnitt - nehmen wir einmal an, es wäre CD - mit dem Faktor 2 vergrößert werden muß, damit er genauso groß wird wie der  Äquatorabschnitt. (Nehmen wir einmal an, es wäre A'B'.). Wenn wir dann mit Marinus das Kugelviereck in das "platte" Rechteck / Quadrat abbilden, kann der Winkel a ( = Kurswinkel = CAD) zwischen den beiden Tangenten in A nicht korrekt in die Plattkarte übertragen werden, weil wir nicht gleichzeitig die Marinus-Breite AD = BC "entsprechend" vergrößert haben: Wir haben A'D' (nach Marinus) gerade so groß gemacht, wie AD auf der Kugel - geradegestreckt - mißt. "Entsprechend" kann aber nur heißen, A'D' in demselben Maße zu vergrößern, wie wir zu CD zu A'B' (=  C'D') gemacht haben, d. h. wir müssen von "Marinus zu Mercator" (zu A"D" = B"C") weitergehen.

Und genau so ist Gerhard Mercator vorgegangen, als er entdeckte, daß der Quotient ME / MD derselbe ist, der den Radius MD des Marinus-Zylinders auf Kugelgröße bringt. 

Einerseits haben wir oben gefunden: 
 

  • EG » (ME / MD) · EF 


andererseits gilt aber auch:
 

  • ME = MH = (ME / MD) · MD


Oder aber am Beispiel von Oslo: 

Wie wir oben mit Hilfe des Globusstreifens festgestellt haben, ist der "Oslo-Faktor" gerade gleich 2, und genau mit 2 muß der Radius MD des Breitenkreises durch Oslo multipliziert werden, damit er genauso groß wird wie der Kugelradius MH = ME.


Damit hatte Gerhard Mercator nun eine Methode gefunden, die Marinus-Breitenabstände in demselben Maße zu vergrößern wie die Breitenkreisabschnitte, die von den Meridianen auf den Breiten herausgeschnitten werden: Die (überall) gleichabständigen Breiten des Marinus müssen durch die (jeweils) "vergrößerten Breiten" Mercators ersetzt werden!

Die neue Projektionsart war gefunden, den Seeleuten konnte geholfen werden!