Die nautischen Hauptaufgaben
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löste Gerhard Mercator in einem Netz von Längen und Breiten, das er eigens zu diesem Zweck in seine Welt- und Seekarte in der südöstlichen Ecke eingetragen hatte. Er nannte es "Organum directorium", d. h. "Tafel zur Handhabung der Richtungen". Wir nennen es kurz "die Kurstafel Gerhard Mercators". Da Gerhard Mercator seine Entwurfsmethode nicht veröffentlichte, warf man ihm häufig vor, er habe selbst nicht verstanden, was er da zustande gebracht habe. Aber diese Vorwurfe wurden stets von Leuten gemacht, die sich nicht die Mühe gegeben hatten, die - lateinisch ausformulierten - Anweisungen zur Lösung der Kursaufgaben durchzulesen. 

Diese Anweisungen hingegen zeigen, daß er sehr wohl gewußt hat, was das Neuartige an seiner Projektion war: Die Seeleute konnten  endlich ihre "Hausaufgaben" mit Hilfe seiner Karte und ihrer Kurstafel erledigen.

Der Konstruktion eines Mercator-Netzes legen wir eine 10°-Äquator-Breite (z. B.) von 20 mm zugrunde, so daß der "Äquator" noch auf ein DlN A4-Blatt paßt: 
Begründe, warum dann r = l 15 mm. 
Wir wählen die Folge der Mittelpunktswinkel von 5°, 10°, ..., 75°. 
Das Schema zeigt, daß es bis 90° nicht fortgesetzt werden kann! Beweis? 
Wir zeichnen die Mcrcator-Dreiecke der Art EFG und tragen ihre Hypotenusen vom "Äquator" ausgehend aneinander an. Abschließend zeichnen wir die Längen und Breiten dieser Kurstafel. 

Gerhard Mercator löste mit ihrer Hilfe die drei nautischen Hauptaufgaben:

  1. Gegeben seien A und B. Wie groß ist der Kurswinkel NAB?
  2. Gegeben seien A und B. Wie lang ist die Kursgleichen-Strecke AB?
  3. Gegeben seien A, der Kurs k und die zurückgelegte Strecke AB (in Seemeilen). Welche geographischen Koordinaten hat B?
Die Kurswinkelbestimmung

ist noch die leichteste Aufgabe: Wir tragen z. B. A = (20°O | 61°N) nach auf dem Nullmeridian der Kurstafel und B der Längendifferenz bzgl. A und der Breite ein. Wir verbinden A und B mit dem Lineal und messen den Kurswinkel NAB = SO = 12 Strich = 12 · 11.25° = 123.75°. (N gibt die Nordrichtung an.)

Die Bestimmung der Distanz AB

ist nicht ganz so leicht. Aber keine Bange: mit den Sätzen der Ähnlichkeitslehre kommen wir schon zurecht! 

Wir zeichnen durch B die Parallele zum Äquator. Der Nullmeridian werde in F geschnitten. Das Dreieck ABF nennt der Seemann das "vergrößerte Kursdreieck", denn die Breitenabstände hat Gerhard Mercator ja - "wie man leicht sieht" - in der Tat vergrößert. Wir können also nicht einfach die Strecke AB in den Zirkel nehmen und irgendwo auf dem Rand (links/rechts/oben/unten) absetzen / messen. 
Wenn es ein bißchen ungenau sein darf, dann tun die Seeleute das trotzdem: Sie setzen den Zirkel mit der Öffnung AB "einfach" um die Mittelbreite (!) von A, B auf dem 0°- oder 90°-Meridian symmetrisch nach oben und unten ab und lesen dann die Breitendifferenz "in vergrößerten Graden" ab!
Wir folgen aber lieber den Anweisungen Gerhard Mercators: Wir setzen die Breitendifferenz von 25°10' auf dem Äquator von O = (0° | 0°) aus nach rechts ab : C. Haben wir an den Äquator in O den Kurswinkel k = 33° angetragen, so erhalten wir zusammen mit der Senkrechten durch das C das "wahre Kursdreieck" OCD. Tragen wir dann die Strecke OD mit dem Zirkel von O aus auf dem Äquator ab, erhalten wir mit der Strecke OE - gemessen in Winkelminuten - die Distanz AB in Seemeilen. 

Der Nautiker nennt die Länge einer Äquator-Winkelminute eine "Seemeile": Sie ist der 21.600. Teil des Äquators 

Beweis! 
und ist 40.000.000 m / 21.600 = 1851.85 m » 1852 m lang.

Die Strecke AB ist 30° "lang", also beträgt die Distanz AB = d = 1800 sm. Da das Schiff auf einer Kursgleichen von A nach B gesegelt ist, ist es nicht den kürzesten Weg gesegelt, denn den hätte es nur auf einem Großkreis zurückgelegt. (Dafür hätte der Steuermann dann aber auch dauernd einen neuen Kurs anlegen müssen! Auf der Kursgleichen hatte er das nicht nötig: Ein bißchen Umweg war ihm das schon wert.)
 

    Zum Beweis, daß Gerhard Mercators Anweisungen korrekt sind, solltest Du Dir überlegen, daß die beiden Dreiecke, das "vergrößerte" und das "wahre", ähnliche Dreiecke sind. Wenn Du dann die richtige Verhältnisgleichung aufstellst, erkennst Du leicht, daß beide Strecken (AB und OE) im gemeinsamen Gradmaß "gemessen" werden!
     
  • Mit dem Programm Entfernung kannst Du Dir die Entfernungszusammenhänge auf einer simulierten Mercator-Weltkarte vor Augen führen. Probiere unterschiedliche Situationen aus, um den möglichen Unterschied zwischen orthodromer und loxodromer Entfernung zweier Orte auf der Kugel rechnerisch zu erkennen.
Um die geographischen Koordinaten eines Zielortes 

herauszufinden, benutzen wir wiederum das Mercator-Verfahren, aus einem "vergrößerten Kursdreieck" ein (ähnliches) „wahres Kursdreieck" abzuleiten: 

Schau' Dir die letztstehende Figur an und verfolge unabhängig von der folgenden Beschreibung die Ziffern [n=1-9] ff. 
Mach' Dir jeweils sebst einen Reim auf das Geschehen - bevor Du weiterliest!
Wir setzen den Standort auf dem Nullmeridian (40°N) und den Kurs k = 33° am Nullmeridian ab. Die Distanz d = 1800 sm rechnen wir in Äquatorgrad um: 1800 sm entsprechen 1800' = 30°. Wir setzen den Kurs am Äquator in O an den Nullmeridian ab und tragen auf dem freien Schenkel mit dem Zirkel die Äquatorlänge von 30° ab: D. Fällen wir von D aus das Lot auf den Äquator,so erhalten wir in C die zu Kurs und (wahrer) Distanz zugehörige "wahre" Breitendifferenz b von (etwa) 25°10'. 

Tragen wir diese auf dem Nullmeridian von A aus ab: F, so liefert der Schnittpunkt der Breite durch F mit der Kursgraden B. Das Lot auf den Äquator - auf dem oberen Rand -  liefert die gesegelte Längendifferenz von (etwa) 27°55'. 

B hat also die Koordinaten (l + 27°55' | 65° 10') - l ist die wahre Länge von A.